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stübungswohnsitz der einzelnen Ortsarmen auf Grund der Uebergangsbestimmungen des Reichs-
gesetzes vom 6. Juni 1870 ermittelt werden. Als Unterstützungswohnsitz sei für N. und Ehefrau
Stenderup anzuerkennen, weil dieser Ort erwiesenermaßen Geburtsort des Ehemannes und sein
Heimathort vor dem 1. Juli 1871 gewesen sei, der Unterstützungswohnsitz aber nach §. 65, Ziff. 1
des Reichsgesetzes in demjenigen Armenverbande begründet sei, dessen Bezirk der Heimathsort angehöre.
Die Entscheidung ist vom Verklagten fristzeitig angefochten worden. Verklagter bestreitet die
Kompetenz der Deputation zur Negulirung der gemeinschaftlichen Armenlast wie auch seine, des
Verklagten, Passiolegitimation und behauptet unter Beweisantritt zweijährigen Aufenthalt der N.'schen
Eheleute im Bezirke des klagenden Armenverbandes über den 1. Juli 1871 hinaus. Letzteres wird
vom Kläger nicht bestritten, aber im Hinblick auf die sortwährende Unterstützung während dleses
Aufenthaltes für unerheblich erklärl.
Es war, wie geschehen, auf Abweisung des Klägers mit dem erhobenen Anspruche zu erkennen.
Das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 verordnet in §. 65, Ziff. 1:
Diejenigen Norddeutschen welche am 30. Juni 1871 innerhalb des Bundesgebietes ein
Heimathrecht besitzen, haben krast desselben am 1. Juli 1871 den Unterstützungswohnsitz in
demjenigen Ortsarmenverbande, welchem ihr Heimathsort angehört.
Am 30. Juni 1871 bildete der Gemeindebezirk Stenderup noch keinen eigenen Armenverband. Es
kann also nicht die Rede davon sein, daß N. ein Heimathrecht in Stenderup besessen habe, welches
sich am 1. Juli 1871 in einen Unterstützungswohnsitz verwandelte. Vielmehr hatten beim Inkraft-
treten des Reichsgesetzes die Eheleute N. unzweifelhaft ihre Heimath und folgeweise ihren Unter-
stützungswohnsitz in dem damals noch bestehenden Gesammt-Armenverband des Kirchspiels Tostlund.
Nach Auflösung dieses Armenverbandes ist die Versorgung der vorhandenen Ortsarmen, zu
welchen die Eheleute N. gehörten, eine gemeinschaftliche Last der aus dem früheren Verbande her-
vorgegangenen zwei neuen Armenverbände geworden. Dieses Verhältniß besteht so lange fort, bis
die Vertheilung der gemeinschafllichen Armenlast im Wege der Einigung oder der Regulirung seitens
der zuständigen Verwaltungsbehörde stattgefunden. Da eine Auseinandersetzung zwischen Toftlund
und Stenderup in der einen oder der anderen Weise bis jetzt nicht erfolgt ist, so ist keiner dieser
Armenverbände berechtigt, dem anderen die ausschließliche Uebernahme einer Versorgungspflicht im
einzelnen Falle anzusinnen, welche beiden zusammen obliegt, so wenig als von einem dritten Armen-
verbande Tofstlund allein oder Stenderup allein wegen Erfüllung einer denselben gemeinsamen Ver-
pflichtung in Anspruch genommen werden kann.
Von der Annahme ausgehend, daß mit der Auflösung eines Armenverbandes in mehrere
Verbände ohne Weiteres auch eine Naturaltheilung der Armenlast verbunden sei, hat der erste
Nichter den Grundsatz aufgestellt, den er für Fälle dieser Art in §. 65, Ziff. 1 des Reichsgesetzes
niedergelegt sindet, daß derjenige neue Verband die Versorgung des einzelnen Hülfsbedürftigen zu
übernehmen habe, welchem der spezielle Heimathort desselben angehört. Dieser Grundsatz, welcher
auf der Fiktion einer engeren Heimath innerhalb des früheren Armenbezirks beruht, und in §. 65,
Ziff. 1 cit. wie oben bemerkt, keine Stütze findet, ermöglicht aber nicht einmal eine durchgreifende
Vertheilung der Armenlast. Denn er gewährt keinen Anhalt für Zuweisung derjenigen Hulfss-
bedürstigen, welche durch wechselnden Aufenthalt an mehreren Orten des Bezirks in demselben ein
Hülssdomizil begründet, aber nicht lange genug an einem oder dem anderen Orte gewohnt haben,
um dort eine spezielle Heimath im Sinne jener Auffassung zu begründen. Solche Personen als
domizillos zu behandeln, wie der erste Richter will, ist unmöglich, da sie beim Eintritte der Hülfs-
bedürstigkeit einen Unterslützungswohnsitz hatten und desselben durch die Theilung des zu ihrer
Unterstützung verpflichteten Verbandes in zwei Verbände allein nicht verlusiig gehen konnten.