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Es ergiebt sich hieraus, daß der §. 37 durch die §§. 34 und 38 weder in seinem ersten
Absatze rücksichtlich des Landes- noch in seinem zweiten Absatze rücksichtlich des Bundesprozesses eine
Beschränkung auf diejenigen Streitsachen erhalten haben kann, in welchen der vorläufig unterstützende
Armenverband dem definitiv verpflichteten als Partei gegenüber steht. —
Es bleibt schließlich, speziell für die vorliegende Sache, noch dem Einwande zu begegnen, daß
eine Klage nicht zur Zuständigkeit der Heimathsbehörden gehören könne, mittelst welcher ein Anspruch
nicht allein auf Grund einer Bestimmung des Reichsgesetzes über die Verpflichtung zur Armenpflege,
sondern zugleich aus einem dem Zivilrecht angehörigen Fundamente, hier aus der irrthümlich ge-
leisteten Zahlung einer Nichtschuld, geltend gemacht wird. Dies Bedenken überträgt aber lediglich
zivilrechtliche Anschauungen auf ein Gebiet, welches von dem Zivilrechte unabhängig ist, und wohin
sie deshalb nicht gehören. Das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 hat nur Verhältnisse des öffent-
lichen Rechts geordnet. Die öffentliche Armenpflege, welche in Folge des eingeführten Bundes-
indigenats und der Freizügigkeit eine ganz andere Bedeutung gewonnen hat, mußte neu und diesen
Grundsätzen entsprechend in gleichmäßiger Weise für das ganze Bundesgebiet geregelt und vertheilt
werden. Da die Gleichmäßigkeit der Belastung des einzelnen Armenverbandes bedingt wird durch
die vollständige Erfüllung der gleichen Pflichten durch alle übrigen, so mußte dem einzelnen Armen-
verbande, welcher in Folge der etwaigen Nichterfüllung eines Anderen von einer Last betroffen
wird, die ihm nicht obliegt, oder welcher überhaupt sich an der öffentlichen Armenpflege da be-
theiligt hat, wo er gesetzlich entweder gar nicht, oder nur in einem geringeren Maße, oder nur
vorläufig dazu verpflichtet war, das Recht gegeben werden, die Ausgleichung der öffentlichen Last
der Armenpflege nach Maßgabe des Gesetzes gegen jeden Armenverband zu verlangen, zu dessen
Gunsten er sonst überbürdet sein würde. Dies ist der Charakter der nach dem Reichsgesetz vor die
Heimathsbehörden gehörigen Klage. Unter welche zivilrechtliche Formel diese Klage sonst noch ge-
bracht werden könne, ist für die Beurtheilung der zur Entscheidung berufenen Verwaltungsgerichts-
höfe ohne Bedeutung. Auch im vorliegenden Falle, wo der Kläger die ihm abverlangten Ver-
pflegungskosten bereits bezahlt hat, jetzt aber behauptet, daß von ihm Kosten gefordert werden,
welche er nach den ihm bis dahin unbekannt gebliebenen thatsächlichen Verhältnissen entweder gar
nicht, oder doch nur in geringerem Betrage verschuldet habe, steht für die entscheidende Verwaltungs-
behörde nur in Frage: inwieweit unter jenen thatsächlichen Verhältnissen nach den Bestimmungen
des Reichsgesetzes der Kläger verpflichtet war, die Zahlung, so wie geschehen, zu leisten? Es han-
delt sich also hier um eine Streitfrage über die Verpflichtung zur öffentlichen Armenpflege und eine
Klage, welche deren gesetzmäßige Ausgleichung bezweckt. Ob die Zahlung bereits geleistet worden,
oder nicht, kann, wenigstens bezüglich der Kompetenz, nicht in Betracht kommen.
Die Schleswig-Holsteinische Deputation hat sonach die Klage mit Unrecht wegen vermeintlicher Inkompetenz
abgewiesen, und mußte ihre Entscheidung deshalb aufgehoben werden.
In der Sache selbst führt das Erkenntniß Folgendes aus:
Es erscheint nicht zweifelhaft, daß unter den obwaltenden Umständen der Verklagte nicht be-
rechtigt war, die Pauschalsätze von je 5 Sgr. täglich für den L. und seine Frau für die ganze Dauer
der Krankheit und für jedes der 4 Kinder mit 3 Sgr. pro Tag zu fordern.
Der Tarif vom 21. August 1871 setzt unter Nr. 1 voraus, daß eine wirkliche Naturalver-
pflegung stattgefunden habe, und seine Sätze können dann nicht in Betracht kommen, wenn der unter-
stützende Armenverband sich darauf beschränkt hat, geringere Geldzuschüsse zur eigenen Bestreitung
des Unterhalts dem Hülfsbedürftigen zu gewähren. Solche Geldzuschüsse werden stets danach be-
messen, inwieweit die eigene Erwerbsfähigkeit des Hülfsbedürftigen und seiner arbeitsfähigen An-
gehörigen noch zur Beschaffung des nothdürftigen Unterhaltes beitragen kann, sie sind deshalb zur
Pauschalisirung im Sinne des §. 30 des Reichsgesetzes überhaupt nicht geeignet. Deßhalb bewilligt
der Tarif auch die ausgeworfenen Sätze nach Nr. 5 nur, wenn die Unterstützten vollständig arbeits-
unfählg gewesen sind, der Armenverband also die volle und ganze Verpflegung selbst hat übernehmen
müssen. Daß unter der Verpflegung eines Hülfsbedürftigen im Sinne des Tarifs nur die in dieser
Weise übernommene gänzliche Naturalverpflegung verstanden werden könne, ergiebt sich auch aus der
Nr. 4 desselben, wonach die Tarifsätze gleichmäßig zur Anwendung kommen sollen, die Verpflegung
mag innerhalb oder außerhalb eines Kranken- oder Armenhauses bewirkt worden sein. Es muß
also nach der Auffassung des Tarifs dem Hülfsbedürftigen außerhalb des Kranken- oder Armen-