Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Zweiter Jahrgang. 1874. (2)

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verpflichteter Armenverband aufgewendet habe, den Anspruch desselben als condictio indebiti 
karakterisirt. Die Inkompetenterklärung des ersten Richters ist indessen nicht begründet. 
Die Parteien streiten darüber, ob Kläger als Armenverband des Dienstortes nach §. 29 des 
Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 verpflichtet war, dem in Zimmermannshorst an den Pocken 
erkrankten Robert St., welcher im städtischen Lazarethe zu Stargard vom 3.—26. September 1871 
verpflegt worden ist, die erforderliche Krankenpflege auf eigene Kosten zu gewähren, oder ob Ver- 
klagter als Armenverband des Unterstützungswohnsitzes für die vom Kläger aufgewendeten Kurkosten 
einzustehen hat. Gegenstand des Streites ist also eine Frage des Armenrechts, welche dadurch allein, 
daß es sich um Rückforderung von Kurkosten handelt, nicht zu einer Frage des Privatrechts wird, 
und nach §. 37 des Reichsgesetzes der Entscheidung der Spruchbehörden in Armensachen unterliegt, 
mag nun Kläger die streitige Aufwendung, wie er behauptet, als vorläufig unterstützender oder als 
vermeintlich definitiv verpflichteter Armenverband gemacht haben. Daß letzteres für die Beurtheilung 
der Kompetenz ohne Bedeutung ist, hat das Bundesamt abwelchend von früheren Entscheidungen 
in dem Erkenntnisse vom 11. Mai d. Js. (oben Seite 237) ausführlich dargelegt. 
Die Abweisung des Klaganspruches, welche der Tenor des angefochtenen Urtheils allgemeln 
ausspricht, war aber aus anderem Grunde zu bestätigen. Verklagter ist zur Rückerstattung der 
streitigen Kurkosten nach §. 30 des Reichsgesetzes nicht verpflichtet, weil Kläger dem erkrankten 
Nobert St. die erforderliche Krankenpflege, deren Dauer sechs Wochen nicht erreichte, nach §. 29 1. c. 
auf seine Kosten zu gewähren hatte. 
Kläger hat diese seine Fürsorgepflicht ursprünglich selbst anerkannt und bestreitet dieselbe jetzt 
nur, weil das Verhältniß des Robert St. zu dem Kolonisten L. in Zimmermannshorst, wenn es 
bei dem jugendlichen Alter des ersteren überhaupt als ein Gesindedienstverhältniß anzusehen sei, 
wegen mangelnder Einwilligung des Vormundes in den Miethvertrag rechtlicher Wirksamkeit entbehrt 
habe. Nach den Vorlagen war der elfjährige Robert St. von etc. L. zum Hüten der Kühe während 
der Weidezeit gegen Lohn und Kost gemietet. Sein jugendliches Alter brachte es mit sich, daß er 
durch seine Dienstleistung vom Schulbesuch nicht abgehalten werden durfte, hindert aber nicht, daß 
das Dienstverhältniß, welches der Begriffsbestimmung der Gesindeordnung vom 8. November 1810 
vollständig entspricht, auch im Sinne des §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 als Gesinde- 
dienst zu betrachten ist, da unmündige Personen von dem Eintritte in Gesindedienste gesetzlich an 
sich nicht ausgeschlossen sind. Sie bedürfen nur nach §. 10 der Gesindeordnung gleich den Minder- 
jährigen der Zustimmung des Vaters oder Vormundes, um sich zu vermiethen. Wird diese Zu- 
stimmung versagt, so ist das Vertragsverhältniß nicht bindend (Allg. Landrecht Th. I. Tit. 5 §. 10 
bis 13); allein so lange es faktisch fortgesetzt wird, steht der Dienste leistende Unmündige immerhin 
im Gesindedienst. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, daß der abwesende Vormund des Robert 
St. seine Zustimmung nicht versagt, sondern wenn auch erst nach thatsächlicher Beendigung des 
Dienstverhältnisses, noch ertheilt hat. Um so weniger läßt sich fingiren, daß kein Dienstverhältniß 
bestanden habe. 
Daß Robert St. während faktischer Dauer des Dienstverhältnisses erkrankt und am Dienstorte 
hilfsbedürftig geworden ist, hat Kläger nicht bestritten und muß als feststehend angenommen werden. 
Zwar ist die Fürsorge des Klägers anscheinend nicht in Anspruch genommen worden, so lange sich 
der Kranke in Zimmermannshorst befand. Allein da die Königliche Regierung zu Stettin, wie 
Bl. 32.b. act. bezeugt, in Vertretung des Armenverbandes Zimmermannshorst das Verfahren des 
Kolonisten L., welcher den Kranken in das städtische Lazareth zu Stargard brachte, ausdrücklich gut- 
geheißen hat, so muß es so angesehen werden, als wenn Kläger selbst für die Verpflegung des St. 
Sorge getragen hätte. Dann liegt kein Grund vor, das Hervortreten der Hilfsbedürftigkeit am 
Dienstorte zu bezweifeln. 
  
  
6. Post-Wesen. 
  
Eröffnung der Eisenbahn zwischen Wartha und Glatz. 
Die Breslau-Glatzer Eisenbahn, deren Eröffnung auf den Strecken Breslau-Strehlen, Strehlen 
Münsterberg, Regierungsbezirk Breslau, und Münsterberg-Wartha am 1. Oktober 1871 bez. 1. September 
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