Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Fünfter Jahrgang. 1877. (5)

                                           — 66 — 
                                         5. Heimath Wesen. 
Das Bundesamt hat in einer Entscheidung vom 30. Dezember 1876 in Sachen Dresden contra Breslau 
sich dahin ausgesprochen, daß Pferdewärter einer Kunstreitergesellschaft weder zu dem Gesinde, noch zu den 
Gewerbegehülfen des Zirkusbesitzers im Sinne des §.29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 gehören, und 
in den Gründen bemerkt: 
Der Einwand des Verklagten aus §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 stützt sich 
darauf, daß Gottlieb Z. zur Zeit seiner Aufnahme in das Dresdener Krankenhaus (19. No- 
vember 1874) bei dem mit seiner Kunstreitergesellschaft wenige Tage vorher zu vorübergehendem 
Aufenthalte in Dresden eingetroffenen Zirkusbesitzer M. als Pferdewärter im Dienst stand, 
weshalb Dresden als Dienstort zu betrachten sei, und für die ersten sechs Wochen der Kranken- 
pflege keinen Anspruch auf Ersatz von Kurkosten habe. Es kann dahingestellt bleiben, was bisher 
nicht ermittelt, ob M. lange genug in Dresden seinen Aufenthalt gehabt hat, um die Annahme 
zu rechtfertigen, daß seine mitgebrachten Gewerbegehülfen und Dienstboten dort einen neuen 
Mittelpunkt ihrer dienstlichen Thätigkeit fanden. Denn es ist nicht nachgewiesen, daß Z. bei M. 
in einem Gesindedienstverhältniß stand, oder daß er sein Gewerbegehülfe war. Pferdewärter, 
welche die Pferde einer Kunstreitergesellschaft zu verpflegen haben, zählen gleich den Markthelfern, 
Laufburschen in einem kaufmännischen Geschäft, nicht zu dem Gesinde, indem sie nicht zu häus- 
lichen oder wirthschaftlichen Diensten, sondern zur Hülfeleistung beim Gewerbebetrieb angenommen 
sind. Es kann daher nur noch in Frage kommen, ob Z. als Pferdewärter zu den Gewerbe- 
gehülfen des Zirkusbesitzers M. im Sinne des §. 29 des Reichsgesetzes gehörte. Auch diese 
Frage ist zu verneinen, da §. 29 unter Gewerbegehülfen nicht alle und jede in einem Gewerbe- 
betrieb thätigen Personen, sondern wie das Bundesamt in zahlreichen Präjudikaten näher aus- 
geführt hat, nur das für den Gewerbebetrieb technisch ausgebildete Hülfspersonal begreift, und 
da es üm vorliegenden Falle an jedem Anhalt dafür gebricht, daß Z. im Geschäft des Kunst- 
reiters M. eine andere Stellung als die eines gewöhnlichen Pferdewärters eingenommen hat. 
Findet hiernach §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 auf den vorliegenden Fall keine 
Anwendung, so hat Kläger Anspruch auf Ersatz der Kur= und Verpflegungskosten für die ganze 
Dauer der Krankenpflege. 
  
Nach einer Entscheidung des Bundesamtes in Sachen Neuvorpommern contra Grimmen vom 30. De- 
zember 1876 wird die Nothwendigkeit öffentlicher Unterstützung dadurch nicht ausgeschlossen, daß das Unter- 
stützungsbedürfniß aus Anlaß der Erfüllung einer zivilrechtlichen Verbindlichkeit hervorgetreten ist. Das die 
erstrichterliche Entscheidung bestätigende Erkenntniß beruht auf folgenden Erwägungen, aus welchen zugleich 
der wesentliche Thatbestand des Falles sich ergiebt: 
In Erwägung: « 
daß nach dem in der Klage vorgetragenen und vom Verklagten ausdrücklich eingeräumten 
Sachverhalt die Hülfsbedürftigkeit des in Armenpflege genommenen Kindes der Johanna S., 
eines Säuglings, auf der, wie behauptet wird, unvermeidlichen Trennung desselben von der 
Mutter beruhte, welche letztere zwar das Kind zu ernähren bereit und vermögend war, sofern 
sie es bei sich behalten konnte, aber außer Stande sich befand, die zur Unterbringung des Kindes 
in fremde Pflege erforderlichen Mittel allein aufzubringen, 
daß die Trennung des Kindes von der Mutter allerdings nur deshalb nöthig wurde, 
weil Johanna S. zur Rückkehr in den Gesindedienst des Pächters B. rechtskräftig durch ge- 
richtliches Erkenntniß verurtheilt war, und B. darauf bestand, daß sie ohne das Kind in seinen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.