78 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung.
nommen hätte, wird der Anspruch grundsätzlich nicht berührt. Denn aus dem
Umstande, daß er die Herausgabe der Sache fordern konnte, folgt ja noch
nicht, daß er die Sache dem Besitzer auch eigenmächtig fortnehmen durste.
Gerade die Eigenmächtigkeit der Fortnahme ist es aber, die der Besitzer ihm
vorwirft; gerade sie ist es, durch die er sich dem Besitzer gegenüber formell
ins Unrecht gesetzt hat. Ebendeshalb wird es dem Gegner versagt, sich zur
Abwehr des gegen ihn erhobenen Besitzanspruchs auf sein besseres Recht ein-
wand= oder einredeweise zu berufen (863). Andrerseits hat aber der Gegner
durch seine Eigenmächtigkeit sein besseres Recht nicht etwa endgültig verwirkt.
Vielmehr kann er das Recht im Wege einer selbständigen Klage jederzeit
geltend machen, so daß möglicherweise über den Besitzanspruch und das Gegen-
recht zur nämlichen Zeit in zwei verschiedenen Prozessen verhandelt wird.
Beispiel. A. hat dem B. ein leerstehendes Haus verkaust und ausgelassen, verweigert
aber die auf den 1. April vereinbarte Ubergabe aus nichtigen Gründen; darauf läßt B.
die Haustür durch den Schlosser aufbrechen und zieht eigenmächtig ein. Hier kann B.,
wenn A. aus 861 1 auf Räumung klagt, sein Recht, die Ubergabe des Hauses zu fordern,
nicht durch Einwand oder Einrede geltend machen, sondern muß es selbständig einklagen.
Dabei kann es leicht geschehn, daß A. seinen Prozeß eher gewinnt als B. und daß alsdann
B. in der Zwischenzeit zum Auszuge aus dem Hause gezwungen werden kann.
Zweifelhaft ist, ob B. in dem eben genannten Fall sein Recht auf Ubergabe nicht
auch durch Widerklage geltend machen kann. Die herrschende Meinung ist dagegen. 12
2. Die Regel zu 1 gilt auch dann, wenn das bessere Recht des Gegners
unstreitig ist oder so rasch bewiesen werden kann, daß die Berufung darauf
den von dem Besitzer etwa angestrengten Prozeß nicht verzögern würde. Da-
gegen ist die Regel selbstverständlich unanwendbar,
a) wenn der Gegner sein besseres Recht nach Lage des Falls eigenmächtig
ausüben durfte und sich somit zwar einer Eigenmacht, aber doch keiner ver-
botenen schuldig gemacht hat (863),
b) wenn der Anspruch infolge rechtskräftiger Feststellung des besseren
Rechts des Gegners nach Maßgabe der zu I. 6 besprochenen Regel ausge-
schlossen ist.
(77) Der kurzsfristige Anspruch wegen Besitzstörung.
§ 189a.
Der kurzfristige Anspruch des Besitzers wegen Besitz-
störung (interdictum uti possidetis) bildet zu dem kurzfristigen Anspruch
wegen Besitzentziehung insofern einen Gegensatz, als er dem gegenwärtigen
Besitzer gegenüber einem Nichtbesitzer zugestanden wird. Trotzdem unterliegt
er in den meisten Beziehungen den nämlichen Regeln (862 ff.). Unterschiede:
I. Der Anspruch setzt voraus, daß der Besitz des Anspruchsberechtigten
12) Schmidt, Lehrb. d. Zivilpr. 2. Ausl. (06) S. 839 2.