Full text: Volkstümliches aus dem Königreich Sachsen auf der Thomasschule gesammelt. Zweites Heft. (2)

96 Volkstümliches aus dem Nachlasse von Rudolf Hildebrand. 
Ernst auch auf zuchtlosere Geister macht, wirkte nachhaltig 
bei allen seinen Schülern. Unbändigere, aber eigenartig be— 
gabte Naturen lohnten dem liebevollen Lehrer, der sie durch 
die Macht seines gewinnenden Wesens zu bannen wußte, 
seine persönliche Teilnahme mit lebenslänglicher Treue.“*) 
Wie er seinen Beruf auffaßte und was er der Schule 
gewesen sein muß, wir fühlen's allein aus seinem schönen 
Ausspruch: daß nur der Beste gut genug sei zum Lehrer und 
Erzieher! Seit er Mitarbeiter am Grimmschen Wörterbuch 
geworden war, trug er die doppelte Bürde des Unterrichts 
und der wissenschaftlichen Arbeit. Er trug sie mit der ihm 
eigenen aufopfernden Treue, bis ihn die Ernennung zum 
Universitätsprofessor entlastete. 
Am 28. Oktober 1894 hat ihn der Tod uns entrissen. 
In die stille Gruft auf dem Johannisfriedhof sangen ihm 
seine Thomaner das Abschiedslied. 
Sein Geist aber lebt fort in den Jüngern deutscher 
Sprachwissenschaft und durch sie wiederum in der Schule. 
Nach seinem Vorgange lehrt sie das Leben und 
Denken unseres Volkes, überhaupt seine Eigenart, 
erkennen, zumal aus geschichtlicher Sprachbetrach- 
tung, die oft aus lebendiger Gegenwart in ferne 
Vergangenheit zurückführt. Auch der Gedanke, die 
Pflege des Volkstums in der Schule durch eine Schüler- 
sammlung zu beleben, entspricht dem Geiste Hildebrands. 
Bald nach Erscheinen meines ersten Heftes überraschte mich 
Herr Professor Berlit mit der Nachricht, daß sich in Hilde- 
brands Kollektaneen zum deutschen Volkslied eine Sammlung 
von volkstümlichen Reimen befinde. Sie stamme zum Teil 
aus dem Anfang seiner Thätigkeit als Lehrer und sei auf 
dieselbe Weise entstanden, wie die meinige. Dank der gütigen 
Einwilligung von Hildebrands Angehörigen erhielt ich das 
Recht der Herausgabe. 
*) Vgl. Berlit, Rud. Hildebrand. N. Jahrb. f. Phil. u. Päd. 
II. Abt. 1894, S. 563.
	        
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