100 Volkstümliches aus dem Nachlasse von Rudolf Hildebrand.
maß entspricht die gesteigerte Empfindung des Singenden und
Tanzenden. Auch der Tanzschritt wird zu einem lebhaften
Hüpfen.
Ein rechtes Musterstück unserer natürlichen alten Metrik
und Rhythmik' nennt Hildebrand die zwei ersten Zeilen. Nach
der Schulmetrik wären das Trochäen mit drei Hebungen. Wer
aber die Verse nicht mit dem Auge liest, sondern mit dem
Ohre hört, findet vier Hebungen heraus: zwei Hauptton-
stellen und zwei minderbetonte. Schreiben wir die ersteren
durch Bezeichnung mit dem Akutus, die letzteren mit dem
Gravis und setzen wir die einfache Melodie in Buchstaben
hinzu, so erhalten wir folgendes Bild:
e Jßc e C G
Bauer, baue Kessel
Morgen wird es besser.
Der Strich kann zugleich als Taktstrich nach musika-
lischem Begriffe gelten, soll aber hauptsächlich den innern
Bau des kleinen rhythmischen Ganzen andeuten'. Es besteht
aus zwei Gliedern, die rhythmisch einander vollkommen gleich
sind. Denn Kessel füllt im Gesange genau dieselbe Zeit aus,
wie Bauer baue, und die Kinder machen auf Kessel ebenso
zwei Tritte wie auf Bauer baue. Nicht anders ists in der
zweiten Zeile. Daß die letzte Silbe in Kessel und besser im
Singen verlängert wird, dazu sind die Liquidä l undr vor-
züglich geeignet.
Dieser vierhebige Rhythmusrahmen, der hier in ein-
fachster Form auftritt, aber mannigfache Wandlungen zuläßt,
liegt nun allem rhythmischen Wesen zu Grunde. Er läßt
sich auch in die altgermanische stabreimende Dichtung zurück
sicher verfolgen. Uberall hört man den wohlbekannten Klang:
Bauer baue Kessel. Er klingt auch aus der mittelhochdeutschen
Dichtung, aus dem Volksliede, aus dem Kirchenliede
„Nur muß man den Text nicht bloß mit dem Auge
fassen, sondern mit den Ohren, gesungen“, z. B.
*) Die Dominante in der Tiefe.