Full text: Volkstümliches aus dem Königreich Sachsen auf der Thomasschule gesammelt. Zweites Heft. (2)

100 Volkstümliches aus dem Nachlasse von Rudolf Hildebrand. 
maß entspricht die gesteigerte Empfindung des Singenden und 
Tanzenden. Auch der Tanzschritt wird zu einem lebhaften 
Hüpfen. 
Ein rechtes Musterstück unserer natürlichen alten Metrik 
und Rhythmik' nennt Hildebrand die zwei ersten Zeilen. Nach 
der Schulmetrik wären das Trochäen mit drei Hebungen. Wer 
aber die Verse nicht mit dem Auge liest, sondern mit dem 
Ohre hört, findet vier Hebungen heraus: zwei Hauptton- 
stellen und zwei minderbetonte. Schreiben wir die ersteren 
durch Bezeichnung mit dem Akutus, die letzteren mit dem 
Gravis und setzen wir die einfache Melodie in Buchstaben 
hinzu, so erhalten wir folgendes Bild: 
e Jßc e C G 
Bauer, baue Kessel 
Morgen wird es besser. 
Der Strich kann zugleich als Taktstrich nach musika- 
lischem Begriffe gelten, soll aber hauptsächlich den innern 
Bau des kleinen rhythmischen Ganzen andeuten'. Es besteht 
aus zwei Gliedern, die rhythmisch einander vollkommen gleich 
sind. Denn Kessel füllt im Gesange genau dieselbe Zeit aus, 
wie Bauer baue, und die Kinder machen auf Kessel ebenso 
zwei Tritte wie auf Bauer baue. Nicht anders ists in der 
zweiten Zeile. Daß die letzte Silbe in Kessel und besser im 
Singen verlängert wird, dazu sind die Liquidä l undr vor- 
züglich geeignet. 
Dieser vierhebige Rhythmusrahmen, der hier in ein- 
fachster Form auftritt, aber mannigfache Wandlungen zuläßt, 
liegt nun allem rhythmischen Wesen zu Grunde. Er läßt 
sich auch in die altgermanische stabreimende Dichtung zurück 
sicher verfolgen. Uberall hört man den wohlbekannten Klang: 
Bauer baue Kessel. Er klingt auch aus der mittelhochdeutschen 
Dichtung, aus dem Volksliede, aus dem Kirchenliede 
„Nur muß man den Text nicht bloß mit dem Auge 
fassen, sondern mit den Ohren, gesungen“, z. B. 
*) Die Dominante in der Tiefe.
	        
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