Volkstümliches aus dem Nachlasse von Rudolf Hildebrand. 113
blaßte und die goldene Brücke an die Stelle jener gesetzt
ward, verschwand auch der Name des mythischen Zerstörers.
Dafür trat ein Mensch ein, dem etwa aus Habsucht daran
liegen konnte, den Bau zu brechen: der Goldschmied. Ihm
hilft die jüngste Tochter. Das ist durchaus im Sinne des
Märchens, in dem ja der oder die Jüngste eine so große
Rolle spielen. Vielleicht aber — falls die goldene Tochter
im Greizer Lied ursprünglicher ist — darf auch eine andere
Erklärung gelten. Wir wissen, daß in Grimms Märchen
vom Marienkinde die heilige Dreifaltigkeit nicht nur in Glanz
und Feuer sitzt, sondern golden ist, wir wissen, daß in einem
andern Märchen von zwei Kindern erzählt wird, „die ganz
golden waren“ und auf goldenen Rossen durch die Welt
zogen (Die Goldkinder, Grimm 1, 316), und wir wissen
auch von einem, der ausgeschickt wurde, um aus der Hölle
drei goldene Haare vom Haupte des Teufels zu holen
(Grimm 1, 112 ff.). Ist also die Annahme etwa zu kühn,
daß aus Surtr, dem Dämon im goldroten Glanze des Feuers,
einfach ein goldener Dämon wurde und daß seine Tochter
die goldene Tochter hieß? Und konnte nicht, sobald der
Mythus verdunkelt war, der goldene Riese als Schmied ge-
dacht werden, der mit dem wuchtigen Hammer die Brücke
brach? Auch dies steht mit andern märchenhaften Vorstellungen
sicherlich im Einklang. So war denn auf einmal der goldene
Schmied und seine goldene Tochter im Spiellied darin, und
später der Goldschmied.
Natürlich bedarf solche Erklärung der Stütze. Sie wird
vorhanden sein, wenn sich mit Hilfe unseres Mythus auch
alles andere erhellt und aufs schönste zusammenfügt.
Es heißt, daß die Erde, von Surtr's Lohe brennend,
ins Meer sinkt und daraus eine neue hervorsteigt. Ein
neues Geschlecht bevölkert es. Eine Zeit kommt, da das
Böse nicht mehr vorhanden ist. Jüngere Götter herrschen,
Kinder von Odin und Thor, nur wenige sind von den
älteren übrig. Mit diesen Göttern hausen die Seelen der
rechtschaffenen Menschen im goldbedachten Saale Gimle. Noch
Dähnhardt, Volkstümliches. II.