172 II. Reichsgesetzgebung. Art. 5.
die Beteiligung des Kaisers daran betrifft, die Vorschrift des Art. 5 durch
Art. 2 und 17 ergänzt sein. Dasselbe ergibt sich mittelbar aus dem 2. Ab-
satz des Art. 5. Es wäre überflüssig, der Präsidialstimme des Bundesrats,
d. h. der Krone Preußen ein Vetorecht gegen eine Anderung in der gesetz-
lichen Regelung der dort bezeichneten Angelegenheiten einzuräumen, wenn
der König von Preußen in seiner Eigenschaft als Deutscher Kaiser ein un-
bedingtes Veto hätte und jedes Gesetz von seiner Zustimmung abhängig
wäre. Eine unmittelbare Mitwirkung an der Feststellung des Gesetzesinhalts
steht also dem Kaiser nur insofern zu, als er in seiner Eigenschaft als König
von Preußen nach Art. 6 R.V. über 17 Stimmen im Bundesrat verfügt;
ebenso u. a. Laband ll S. 27 ff., v. Seydel S. 172, v. Rönne I S. 230,
Meyer S. 582 A. 5. Eine Anerkennung dieser staatsrechtlichen Lage kann
in der auch von v. Seydel angeführten Thronrede v. 25. Juni 1888 (aus
Anlaß der damaligen Reichstagseröffnung St. B. 7a) gefunden werden, wo
eine Stelle lautet:
„An der Gesetzgebung des Reichs habe Ich nach der Verfassung mehr
in Meiner Eigenschaft als König von Preußen wie in der des Deutschen
Kaisers mitzuwirken.“
Auch Fürst Bismarck hat in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ B. II
Kap. 33 seinen Standpunkt dahin kundgegeben, daß im Gegensatz zu den
durch die preußische Verfassung dem König von Preußen verliehenen Rechten
„der Kaiser als solcher kein Faktor der Gesetzgebung sei, sondern nur als
König von Preußen durch die preußische Stimme im Bundesrat mitwirke
und daß ihm die Reichsverfassung ein Veto gegen übereinstimmende Beschlüsse
beider gesetzgebenden Körperschaften nicht beigelegt habe."“
Daraus ergibt sich allerdings, daß Preußen im Bundesrat majorisiert
werden kann, soweit dies nicht nach Art. 5 Abs. 2, Art. 37 und Art. 78
verfassungsmäßig ausgeschlossen ist, und bei einer der politischen Richtung der
preußischen Regierung ungünstigen Zusammensetzung des Reichstags könnten
dann auch gegen den Willen der preußischen Regierung Reichsgesetze zustande
kommen. Uber diese Konsequenz der Reichsverfassung war man sich aber
von vornherein klar; vgl. die Ausführungen des Abg. v. Sybel in der
Sitzung des konst. Reichstags v. 23 März 1867 St.B. 327, in denen er mit
Recht auf das große Opfer hinwies, das Preußen in diesem Punkte zu-
gunsten der Gesamtheit gebracht hat.
3. Die Beteiligung des Bundesrats und Reichstags
an der Reichsgesetzgebung; der Grundsatz ihrer Gleichberechtigung.
Durch Art. 5 sind Bundesrat und Reichstag hinsichtlich ihrer Teil-
nahme an der Gesetzgebung gleichgestellt. Dieser Satz führt zu folgenden
Konsequenzen:
1) Gleichberechtigung hinsichtlich der Feststellung des Gesetzesinhalts.
Weder der Bundesrat noch der Reichstag sind gehalten; einen Gesetz-
entwurf unverändert anzunehmen oder im ganzen abzulehnen; beide Körper-
schaften können vielmehr zu jedem einzelnen Bestandteile des Entwurfs ein-
schließlich der Überschriften, etwaiger Bestimmungen über Anfang und Ende
der Gültigkeit des Gesetzes usw. Stellung nehmen und jede Bestimmung
des von der anderen Körperschaft beratenen Entwurfs beliebig abändern;