III. Bundesrat. Art. 6. 195
ihrer persönlichen Überzeugung, sondern haben die Überzeugung und den
Willen der von ihnen vertretenen Regierung geltend zu machen und find
an die ihnen erteilten Instruktionen gebunden; vgl. Entsch. des Reichsgerichts
v. 14. Dez. 1882 (III. Strfs. Bd. 7 S. 382). Der Bundesrat hat also ver-
fassungsmäßig nicht die Aufgaben eines Oberhauses zu erfüllen. Zur Wahr-
nehmung dieser Aufgaben fehlt es im Reiche an einer parlamentarischen
Körperschaft. Hierüber und über die Gründe, aus denen diese Lücke offen
geblieben ist, hat sich Fürst Bismarck in der Sitzung des konst. Reichstags v.
28. März 1867 St. B. 430 eingehend geäußert und dabei insbesondere geltend
gemacht, daß durch die Einführung eines derartigen Zwischengliedes der Orga-
nismus des Reichs zu sehr kompliziert werden würde und daß es auch an
einem sachlichen Bedürfnis dafür fehle, da der Bundesrat selbst „bis zu einem
gewissen Grade ein Oberhaus repräsentiere". Dies ist aber nur cum grano
salis zu verstehen. Denn tatsächlich ist der Bundesrat kein Oberhaus und hat
auch nicht die Aufgaben eines solchen, d. h. er hat nicht die politische Auf-
gabe, eine vermittelnde Stellung zwischen der Krone (der Regierung) und der
eigentlichen Volksvertretung einzunehmen, weil er in der Gesetzgebung die
Stellung innehat, die in monarchischen Einzelstaaten der Regierung zukommt.
Der Bundesrat ist endlich kein Staatenhaus, wie es der Stände-
rat der Schweiz und der Senat in den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika ist. Ein Staatenhaus hat gegenüber der Vertretung der Gesamtheit
die Einzelstaaten zu repräsentieren. Dem Bundesratsbevollmächtigten liegt
es zwar ob, die besonderen Interessen des von ihnen vertretenen Staates,
soweit diese Interessen von dem Gesamtinteresse oder den Interessen anderer
Einzelstaaten abweichen, wahrzunehmen, und die Bevollmächtigten werden in
der Regel ebenso für die Mitwirkung bei der Gesetzgebung wie für ihre Ver-
waltungsaufgaben entsprechende Instruktionen von ihrer Regierung erhalten.
Aber darin prägt sich nur ihre politische Stellung oder — richtiger aus-
gedrückt — nur eine Seite ihrer politischen Stellung und jedesfalls nicht ihre
staatsrechtliche Stellung aus. Staatsrechtlich bilden sie zusammen ein Organ,
das einmal gesetzgebende Körperschaft des Reichs und andererseits höchste Ver-
waltungsinstanz des Reichs ist. Die besonderen Interessen der Einzelstaaten
mögen in vielen Fällen das innere Motiv für die Abstimmung der Bevoll-
mächtigten bilden, aber dies ist eine innere Angelegenheit jeder einzelnen
Landesregierung. Staatsrechtlich vertritt der Bundesrat in seiner Gesamt-
heit bei den Aufgaben der Gesetzgebung dem Reichstage gegenüber und in
Angelegenheiten der Verwaltung allen Behörden und den Untertanen des
Reichs gegenüber stets und überall die Regierung des Reichs.
4. Der Bundesrat als Vertreter souveräner Rechte im Reich.
Der letzte Satz, daß der Bundesrat die Regierung des Reichs vertritt,
leitet zu der Frage über, ob es außerhalb der kaiserlichen Gewalt eine
Reichsregierung gibt und wer die höchste Gewalt im Reiche ausübt. In
einem monarchischen Staate ist der Monarch der Inhaber der höchsten Staats-
gewalt, das Reich ist aber keine Monarchie im staatsrechtlichen Sinne des
Wortes. Die Frage kann daher zu Zweifeln Veranlassung geben. Es
kommen nur in Betracht der Kaiser und die Gesamtheit der Verbündeten
Regierungen, und wenn die Beantwortung der Frage ohne Rücksicht auf
die Überlieferten Begriffe der Wissenschaft nur aus der Reichsverfassung
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