Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 17. 359 
gehalten werde, im Bundesrat nur solche Anträge zu stellen und den 
Bevollmächtigten nur solche Instruktionen zu geben — wenigstens in 
wichtigeren Angelegenheiten — über die man sich im Staatsministerium 
durch kollegiale Beratung geeinigt habe, geradeso wie wenn es sich um 
eine im preußischen Landtage einzubringende Vorlage handelte. 
d) Das Verhältuis zum Reichstage. 
Die juristische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, die sich wie bei 
anderen Beamten darauf erstreckt, daß nicht durch von ihm ausgeführte 
ungesetzmäßige Handlungen der Staat oder einzelne Personen geschädigt 
werden, besteht gegenüber jedermann und ist vor den ordentlichen Gerichten 
geltend zu machen, soweit das Reich finanziell geschädigt ist, eventuell durch 
den Amtsnachfolger. Daneben bezieht sich die politische Verantwortung 
darauf, daß er stets diejenigen politischen Maßregeln ergreift, die das 
Staatswohl erfordert — ein dehnbarer Begriff. Während die juristische 
Verantwortung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen sich nur auf diejenigen 
Verwaltungsakte bezieht, die der Reichskanzler entweder auf Grund eines 
kaiserlichen Erlasses oder auf Grund seiner eigenen Amtsgewalt ausführt, 
entspricht die politische Verantwortung genau dem Umfange seines tatsäch- 
lichen Einflusses, erstreckt sich also auch auf den Gang der Gesetzgebung 
und die ganze Richtung der Reichspolitik. Die politische Verantwortung 
macht sich geltend durch den Druck der öffentlichen Meinung, die sich gegen 
den Reichskanzler richtet, wenn ihm Fehler zur Last gelegt werden. Als 
der hauptsächliche Vertreter der öffentlichen Meinung ist unter normalen 
politischen Verhältnissen die Volksvertretung anerkannt, auch in Deutsch-- 
land, wo das parlamentarische System nicht besteht, wo also der Reichs- 
kanzler und seine Stellvertreter nicht aus denjenigen politischen Parteien 
entnommen werden, die in der Volksvertretung jeweilig die Mehrheit bilden. 
In Ländern mit parlamentarischem System ist deshalb die Frage der 
politischen Verantwortung fast automatisch geregelt. Solange die Regierung 
die Mehrheit des Parlaments für sich hat, wird sie als auf rechtem Wege 
befindlich anerkannt; besteht diese Voraussetzung nicht mehr, bilden die 
Anhänger der Regierung im Parlament die Minderheit, so wird angenommen, 
daß die Regierung ihre politischen Pflichten nicht erfüllt hat, ihre politische 
Verantwortung wird praktisch und es wird daraus ohne weiteres der Schluß 
gezogen, daß die Mitglieder der Regierung ihre Stellung verwirkt haben 
und durch Mitglieder der Parlamentsmehrheit zu ersetzen sind. Dann 
beginnt diese Wechselfolge von politischen Ereignissen aufs neue. Dieses 
System besteht in Deutschland ebensowenig wie in Preußen und den anderen 
Bundesstaaten; vgl. unten VI d S. 365. Es ist nun die Frage aufzuwerfen, 
ob auch ohne die Anwendung des parlamentarischen Systems die politische 
Ministerverantwortlichkeit geltend gemacht werden kann. Im konst. Reichs- 
tage wurde dies von einigen Seiten verneint mit der Begründung, daß es 
an pofitiven Bestimmungen fehle, welche die politische Verantwortlichkeit 
regelten, so insbesondere in der Sitzung v. 23. März 1867 St. B. 343, 345 
von den Abg. Braun und Miquel, wobei übrigens der Abg. Braun un- 
umwunden anerkannte, daß die Minister--Anklagen in England nie etwas 
anderes gewesen sind als der Effekt eines vorübergehenden Übergewichts 
der Volksvertretung über die Exekutivgewalt. Wenn man den Ausführungen
	        
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