IV. Präsidium. Art. 17. 369
ministerielle Stellung in Preußen genügend Einfluß besitzen würde. Jedoch
kam Fürst Bismarck bald wieder von dieser Ansicht zurück; er hat fie
später — in der Reichstagssitzung v. 10. März 1877 — als einen voll-
kommenen Irrtum bezeichnet und hat den Standpunkt wieder eingenommen,
mit dem er die Reichspolitik begonnen und den er in der Reichstagssitzung
v. 27. Sept. 1867 St.B. 120 dahin festgestellt hat, daß nur der preußische
Minister-Präfident Reichskanzler sein dürfe, weil der Reichskanzler den Ein-
fluß, den ihm das Amt eines preußischen Minister-Präsidenten verleiht,
für die Leitung der Reichsgeschäfte nicht entbehren könne. Es ist hierbei
daran zu erinnern, daß die Instruktion für die preußischen Bundesrats-
bevollmächtigten im preußischen Staatsministerium festgestellt wird und daß
der Reichskanzler den offiziellen Einfluß darauf verlieren würde, wenn er
nicht Mitglied des preußischen Staatsministeriums wäre. Es kommt weiter
in Betracht, daß diese Instruktion, soweit es sich um Angelegenheiten von
nicht besonders großer Bedeutung handelt, praktisch allem Anschein nach
wie eine innere Angelegenheit des betreffenden Ressorts behandelt wird und
daß, wenn gleichwohl dem Reichskanzler der nötige amtliche Einfluß auch
gegenüber dem einzelnen, für die Instruktion maßgebenden preußischen
Ministerialressort gewahrt werden soll, es wichtig ist, daß er nicht nur
Mitglied, sondern der Mittelpunkt und Vorsitzende des preußischen Staats-
ministeriums ist.
Das Ergebnis ist also: die Verbindung der beiden Amter des Reichs-
kanzlers und des preußischen Minister-Präsidenten ist zwar keine staatsrecht-
liche, aber eine politische Notwendigkeit, die sich aus der Struktur der
Reichsverfasfung ergibt.
VIII. Der Gegensatz zwischen der Bestimmung des Art. 17
und der Idee eines Reichsministeriums.
Von der Gründung des Reichs an ist zwischen den Verbündeten Regie-
rungen und einem Teile des Reichstags ein lebhafter Kampf um die Ein-
richtung eines verantwortlichen Reichsministeriums geführt worden, wobei
die Verbündeten Regierungen stets einen unbedingt ablehnenden Standpunkt
eingenommen haben; vgl. die historische Darstellung bei v. Seydel S. 181 f.
Theoretisch möglich ist es natürlich, daß neben vielen anderen Änderungen
der Reichsverfassung auch diese beschlossen wird, aber es darf nicht verkannt
werden, daß es sich bei der Einsetzung verantwortlicher Reichsminister um
keinen bloßen Ausbau der Reichsverfassung, um keine einfache Fortbildung
der Behördenorganisation, sondern um eine tiefgreifende Anderung der Grund-
lagen des Reichs handelt. Die Einsetzung verantwortlicher Reichsminister
würde weder mit der derzeitigen Stellung des Bundesrats, noch mit der
des Reichskanzlers und deshalb nicht mit dem dem Art. 17 unterliegenden
Grundgedanken vereinbar sein. Im übrigen ist bei dieser Frage zu unter-
scheiden, ob nur die verfassungsmäßige Exekutivgewalt des Reichskanzlers
oder auch die des Bundesrats auf das Reichsministerium verteilt werden
soll. Im konst. Reichstage schwebte dem Abg. Migquel die Entscheidung der
Frage im Sinne der ersteren Alternative vor; er brachte in der Sitzung v.
23. März 1867 St. B. 344 zum Ausdruck, daß die übernahme der Ver-
antwortung für die Präsidialbefugnisse durch eine Mehrheit von Personen
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 24