Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

430 V. Reichstag. Art. 23, 
gebung. In vielen und wichtigen Fällen ist auch zu Rechtsvorschriften 
die Genehmigung des Reichstags erforderlich, und zwar derart, daß er die 
Vorlage nur im ganzen annehmen oder ablehnen darf. Dies gilt auf 
Grund des Art. 11 Abs. 3 R.V. für einen großen Teil der Staatsverträge 
des Reichs und ferner für manche Verordnungen, die in Abweichung von 
der allgemeinen Regel nur mit Genehmigung des Reichstags erlassen werden 
können; vgl. z. B. § 15 des Wahlgesetzes v. 31. Mai 1869 B. G. Bl. S. 145. 
Es kommt sowohl der Fall vor, daß die Verordnung nicht in Kraft treten 
kann, wenn der Reichstag fie nicht genehmigt — z. B. Wahlreglement — 
oder daß sie zwar zunächst gültig ist, aber nachträglich außer Kraft gesetzt 
werden muß, wenn der Reichstag seine Genehmigung versagt, und hierbei 
sind Fälle zu unterscheiden, in denen die Verordnung dem Reichstag vor- 
gelegt werden muß, damit er sich über die Genehmigung schlüssig macht, 
von solchen, in denen die Verordnung nur außer Kraft gesetzt wird, wenn 
der Reichstag es ausdrücklich verlangt, sodaß die Verordnung in Kraft 
bleibt, wenn der Reichstag keinen Beschluß faßt; Beispiele für beide Fälle 
bei Laband I S. 279 A. 1 und aus neuerer Zeit vgl. R.G.Bl. 1909 
S. 823 § 39 Abs. 1 und S. 889 § 37 Abs. 1. In allen diesen Fällen ist das 
Mitwirkungsrecht des Reichstags von seinen gesetzgebenden Funktionen 
bloß dadurch verschieden, daß er die Vorlagen nur im gauzen annehmen 
oder ablehnen darf. Natürlich ist dann auf eine Ablehnung nur wegen 
einer prinzipiellen Meinungsverschiedenheit zu rechnen und wegen einer 
Differenz in weniger bedeutenden Fragen kann in die Aktion der Verbündeten 
Regierungen oder der Reichsverwaltung nicht eingegriffen werden. Diese 
Konsequenz steht im Einklange mit dem Umstande, daß solche Verordnungen 
materiell sich meistens näher mit den Verwaltungsaufgaben berühren, die 
nach den Grundsätzen der Versaffung vom Kaiser und vom Bundesrat 
allein auszuführen find. 
Die seltenen Fälle, in denen dem Reichstage Verordnungen lediglich 
zur Kenntnisnahme, nicht zur Genehmigung vorzulegen sind — z. B. die 
auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7. Juni 1909 
R. G. Bl. S. 499 § 11 Abs. 3 erlassenen Verordnungen — gehören nicht 
hierher, sondern in die Kategorie der Vorlagen, die nur zur Information 
des Reichstags bestimmt find. 
C. Petitionen. 
I. Das Petitionsrecht. 
Mit der Bestimmung des Art. 23, der einzigen, welche die Reichs- 
verfassung zu diesem Punkte enthält, ist für die Frage, ob die Petenten 
ihrerseits das Recht haben sich an den Reichstag zu wenden, noch nichts 
gesagt. Das Recht hierauf ist nicht für jedermann selbstverständlich. 
Als selbstverständlich kann man es nur bezeichnen, daß eine Privatperson 
sich an die andere mit Bitten wenden kann. Bei Petitionen an öffent- 
liche Organe — Parlamente, Behörden usw. — kommen auch politische 
Momente, Gründe der öffentlichen Ordnung, der Disziplin, in Betracht, 
die es angezeigt erscheinen lassen können, diese durch allgemeine Vorschriften 
des Civil- oder Strafrechts allerdings nicht eingeschränkte Befugnis für 
gewisse Personenkategorieen der Petenten und gegenüber gewissen Körper-
	        
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