V. Reichstag. Art. 31. 465
dasselbe wie von der politischen Verantwortung der Regierung; sie reicht
genau so weit wie die Macht des einzelnen Abgeordneten, und daraus ergibt
sich, daß unter Umständen Parteiführer von großem Einfluß eine Ver-
antwortung tragen, die über die Bedeutung ihrer persönlichen Abstimmung
weit hinausgeht und die insbesondere da einsetzt, wo die Verantwortung
der Regierung aufhört, d. h. bei der Ablehnung von Regierungsvorlagen,
für deren Zustandekommen die Regierung alle ihr zu Gebote stehenden
Mittel erschöpft hat. Für die praktische Geltendmachung der Verantwortung
sorgt die rege Beteiligung der öffentlichen Meinung an den parlamentarischen
Entscheidungen, die politische Presse, politische Vereine, Wählerversammlungen,
eventuell Erklärungen der Regierungsvertreter über die Gründe des Nicht-
zustandekommens eines Gesetzes, in Fragen von fundamentaler Bedeutung
schließlich die Geschichte.
Artikel 31.
Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben
während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung
zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Aus-
übung der Tat oder im Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird.
Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden er-
forderlich.
Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein
Mitglied desselben und jede Untersuchungs= oder Civilhaft für die Dauer
der Sitzungsperiode aufgehoben.
A. Die Verhaftung zum Zwecke der Untersuchung.
I. Die Genehmigung des Reichstags.
II. Der Verzicht ist unzulässig.
III. Die Dauer der Sitzungsperiode.
IV. Die Untersuchung.
V. Die Verhaftung.
VI. Die Verjährung.
B. Die Verhaftung zum Zwecke der Strafvollstreckung.
C. Die Civilhaft.
A. Die Verhaftung zum Bmeche der Antersuchung.
I. Die Genehmigung des Reichstags.
Nach Abs. 1 ist die Verhaftung eines Abgeordneten, abgesehen von dem
Ausnahmefall der Ergreifung bei Ausübung der Tat und im Laufe des nächst-
folgenden Tages, von der Genehmigung des Reichstags abhängig. Über die
Voraussetzungen, auf denen die Genehmigung des Reichstags beruht, über
die Erwägungen, die für seine Entscheidung maßgebend sein sollen, bestimmt
die Verfassung nichts. Die Vorschrift des Art. 31, die im Reichstage dem
Regierungsentwurf hinzugefügt wurde, entspricht fast wörtlich dem Art. 84
Abs. 2—4 der preuß. Verf. Urk. und ist durch Vermittelung der preußi-
schen oktroyierten Verfassung v. 5. Dez. 1848 (Art. 83) und des von der
preußischen Nationalversammlung ausgearbeiteten Verfassungsentwurfs auf
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Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung.