604 XI. Reichskriegswesen. Art. 63.
ausgenommen für die im Felde ergangenen Urteile, für die dem Kaiser die
Bestimmung über die Bestätigung zusteht. Die Beamten der Militär-
Justizverwaltung werden für das Heer von dem zuständigen Kontingents-
herrn, für die Marine vom Kaiser ernannt (§ 93). Der zuständige Kon-
tingentsherr im Sinne aller dieser Vorschriften ist nach § 4 des E.G., soweit
nicht Militärkonventionen ein anderes bestimmen, der Landesherr, dessen
Kriegsministerium die Verwaltung hinsichtlich des betreffenden militärischen
Verbandes ausübt.
Auch für Begnadigungen in Militärstrafsachen ist — abgesehen von der
Marine — der Kontingentsherr zuständig, und zwar auf Grund des Landes-
staatsrechts. Denn das Begnadigungsrecht ist in Militär-Strafsachen wie in
Sachen der ordentlichen Strafrechtspflege in Ansehung der Zuständigkeit
von der Gerichtsbarkeit unabhängig und ist, ungeachtet die Gerichtsbarkeit in
Militär--Strafsachen Angelegenheit des Reichs geworden ist, auf das Reich und
dessen Organe, insbesondere den Kaiser nicht übertragen worden, sondern
an der Stelle geblieben, die es vor der Gründung des Reichs besaß, d. i.
der Landes= bez. Kontingentsherr.
Auf der Tatsache. daß in Militär-Strafsachen des Heeres — von
Ausnahmefällen abgesehen — die Kommandogewalt nicht ausschließlich dem
Kaiser, sondern in vielen Beziehungen dem Kontingentsherrn zusteht, beruht
die — teilweise bezweifelte — Gültigkeit der vom Kaiser in seiner Eigen-
schaft als König von Preußen u. d. 2. Mai 1874 erlassenen neuen Ehren-
gerichtsordnung.
Aus diesen überaus weitreichenden Machtvollkommenheiten, die aus
der Verbindung des kaiserlichen Oberbefehls mit der preußischen Kontin-
gentsführung hervorgehen, ergibt sich, daß, ungeachtet der Sonderstellung
Bayerns, Preußen, das infolge seiner Beschränkung auf eine verhältnismäßig
geringe Stimmenzahl im Bundesrat mit dem Eintritt in das Reich erheb-
liche Opfer brachte, auf dem Gebiet des Heerwesens ein Aquivalent er-
halten hat. Denn einmal sind dem preußischen Kontingent durch die
Militärkonventionen, auf welche die Reichsverfassung im Art. 66 den Weg
wies, erhebliche Truppenmassen zugeflossen und ferner hat es dadurch daß
dem Kaiser der Oberbefehl über das ganze Heer — mit der Einschränkung
für Bayern — übertragen ist, über das eigene Kontingent hinaus einen
bedeutenden Machtzuwachs erhalten, sodaß Preußen in der Lage ist, die
Seite, die von jeher seine stärkste war, die militärische auch im Reiche
vollauf zu entwickeln.
IV. Das Ausfsichtsrecht des Kaisers.
Die im Abs. 3 vorgesehenen Anordnungen kann der Kaiser unmittel-
bar an die Truppen-Kommandostellen richten, da sie ihm unmittelbar unter-
geben sind. Jedoch ist in den Militärkonventionen mit Sachsen und
Württemberg bestimmt, daß der Kaiser die infolge der Inspizierung be-
merkten sachlichen und persönlichen Mißstände den Königen von Sachsen bez.
von Württemberg mitteilen wird, die für die Abstellung und entsprechende
Anzeige an den Kaiser Sorge tragen werden. Es ist also auch hier der
Grundsatz zur Anwendung gebracht, daß, wie es bei den allgemeinen Ver-
ordnungen geschieht, materiell zwar der Kaiser zu verfügen hat, daß aber
die formale Ein= und Ausführung der Verordnung dem Kontingentsherrn