Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

84 II. Reichsgesetzgebung. Art. 8. 
denselben Voraussetzungen zuzulassen wie die Einheimischen; sie müssen sich 
deshalb alle Beschränkungen gefallen lassen, denen die Einheimischen unter- 
liegen. Daher liegt ein Rechtsirrtum zugrunde, wenn — wie es im Reichs- 
tage von einzelnen Abgeordneten getan wurde — gegen die Rechtsgültigkeit 
der preußischen Anfiedelungs-Gesetzgebung auf Grund des Art. 3 Einspruch 
erhoben worden ist. Das Gesetz betreffend die Beförderung deutscher An- 
siedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen v. 26. April 1886 
(Ges. S. S. 131) § 1 in der Fassung, die es durch die Gesetze v. 20. April. 
1898 (Ges. S. S. 63), v. 1. Juli 1902 (Ges. S. S. 234) und v. 20. März 
1908 (Ges. S. S. 29) erhalten hat, bestimmt, daß der Staatsregierung ein 
Fonds von 200 Millionen Mark zur Verfügung gestellt wird, um zur 
Stärkung des deutschen Elements in den Provinzen Westpreußen und Posen 
gegen polonifierende Bestrebungen durch Ansiedlungen deutscher Bauern und 
Arbeiter Grundstücke zu erwerben und soweit erforderlich die Kosten der 
ersten Einrichtung zu bestreiten. Zur Ergänzung dieses Gesetzes ist durch 
das Gesetz betreffend die Gründung neuer Anfiedlungen in den Provinzen 
Ostpreußen usw. v. 10. August 1904 (Ges. S. S. 227) § 13b bestimmt, daß 
die Anfiedlungsgenehmigung im Geltungsgebiete des Gesetzes v. 26. April 
1886 zu versagen ist, solange nicht eine Bescheinigung des Regierungs-= 
präsidenten vorliegt, daß die Anfiedlung mit den Zielen des bezeichneten 
Gesetzes nicht im Widerspruche steht. In dieser Gesetzgebung liegt kein 
Verstoß gegen Art. 3, einmal aus dem von dem Vertreter der Reichs- 
verwaltung, dem Staatssekretär des Innern, Grafen von Posadowsky-Wehner 
wiederholt, in den Reichstagssitzungen v. 15. April 1904 St. B. 2098, 
15. März 1905 St. B. 5287 A und 17. März 1905 St. B. 5340 hervor- 
gehobenen Gesichtspunkte, daß es sich hier nicht um die durch Art. 3 ge- 
schützte Begründung eines festen Wohnsitzes und die Erwerbung von Grund- 
stücken handelt, sondern um die Begründung neuer Anfiedlungen, auf die 
sich Art. 3 überhaupt nicht bezieht und daß soweit jemand das ihm gehörige 
Grundstück zur Begründung einer neuen Anfiedlung benutzen will, er der 
Bestimmung des Art. 111 des E.G. zum B. G. B. unterworfen ist, wonach 
die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt bleiben, die im öffentlichen 
Interesse das Eigentum in Ansehung tatsächlicher Verfügungen beschränken. 
Abgesehen davon trifft Art. 3 diesen Fall schon deshalb nicht, weil hier 
keine Beschränkung gegeben ist, die gegen die Angehörigen anderer Bundes- 
staaten gerichtet ist und der die in Preußen Einheimischen nicht unterliegen. 
Die Ansiedelungsgesetzgebung ist vielmehr ohne Rücksicht auf die Staats- 
angehörigkeit gegen alle Personen gerichtet, die sich der national-polnischen 
Bewegung anschließen. Tatsächlich sind dies übrigens zum größten Teil 
Personen, welche die preußische Staatsangehörigkeit besitzen. Deshalb ist die 
Voraussetzung für die Berufung auf Art. 3 nicht gegeben, die Voraussetzung, 
daß in Ansehung irgend eines privaten oder öffentlichen Rechts durch diese 
Gesetzgebung die Angehbrigen anderer Bundesstaaten schlechter gestellt werden 
als die in Preußen Einheimischen. Ebensowenig ist gegenüber dem preußi- 
schen Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Pro- 
vinzen Westpreußen und Posen v. 20. März 1908 (Ges. S. S. 29) der bei 
den Verhandlungen über dieses Gesetz erhobene Einwand begründet, daß es 
mit dem Art. 3 R.V. und 8§ 1 des Freizügigkeitsgesetzes im Widerspruch 
stehe. Durch die angefochtene Bestimmung des Gesetzes — § 18 — wird
	        
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