Full text: Regierung und Volkswille.

Intransigenz der Freisinnigen. 151 
genannten Block, das Zusammengehen der Konservativen mit 
den Liberalen. Ich hatte einige Beziehungen zu angesehenen 
Liberalen und ging hin zu Virchow und zu Hänel, die 
neben Richter die hervorragendsten Führer der alten Fort- 
schrittspartei waren. Von den ehemaligen Nationalliberalen 
war anzunehmen, daß sie ohnehin geneigt seien, sich mit 
Caprivi zu vertragen. Ich ging also zu Hänel und Virchow 
und legte ihnen dar, wie doch die ganze Zukunft des Libe- 
ralismus jetzt auf dem Spiel stehe, wenn sie dieses Angebot 
der Regierung nicht annähmen, und nach einiger Unter- 
redung brachte ich sie (Hänel ging gleich darauf ein, zögernder 
auch Virchow) so weit, daß sie ja sagten. Ich ließ mich abends 
um 10 Uhr noch bei Caprivi melden: „Ich bringe Ihnen 
Virchow.“ Antwort: „Es ist zu spät; morgen wird auf- 
gelöst.“ Es wurde doch noch nicht gleich am anderen Tag 
aufgelöst, die Dinge blieben noch einen Moment in der 
Schwebe. Aber der Führer der Konservativen, Hammerstein, 
Redakteur der Kreuz- Zeitung, erzwang die sofortige Ab- 
stimmung, weil er nicht wollte, daß die Regierung sich mit den 
Freisinnigen vertrage, und schnitt dadurch weitere Verhand- 
lungen ab. So wurde die Sache der Verständigung nicht reif. 
Die Freisinnigen stimmten zum großen Teil gegen die Vorlage. 
Der Reichstag wurde aufgelöst. Die Partei trennte sich in 
zwei Teile, wurde vollkommen geschlagen, und seitdem führt 
sie bis auf den heutigen Tag ein mehr oder weniger schatten- 
haftes Dasein. Einige Jahre später trat einmal der Intimus 
von Eugen Richter, der Abgeordnete Hermes, an mich heran 
und sagte: „Ich habe ja damals auch gehört von Ihrem 
Vermittlungsversuch und habe zu Richter gesagt: Wollen 
wir nicht darauf eingehen?“ Darauf habe ihm Richter ge- 
antwortet: „Dann sind wir keine Volkspartei mehr.“ Wie 
unendlich charakteristisch ist dieser Ausspruch! Dieser Partei-
	        
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