Full text: Regierung und Volkswille.

160 Bismarck und die Polenfrage. 
wissen Gründen der auswärtigen Politik, um seine Autorität, 
die man in diesem Augenblick im Reichstag stark ange- 
griffen hatte, zu stärken, müsse er die Sache machen. 
Kardorff endet diese seine Aufzeichnungen: „Aber leider 
haben meine derzeitigen Bedenken sich nach den heute ge- 
machten Erfahrungen als völlig berechtigt erwiesen. Die 
polnische Bewegung ist nicht zurückgegangen, sondern wesent- 
lich gestärkt. Der Angriff hat einen Gegendruck hervorge- 
rufen und vorläufig nur zur Kräftigung der großpolnischen 
Agitation nicht allein in Posen, sondern auch in Westpreußen 
und selbst in dem niemals doch dem Königreich Polen zu- 
gehörigen Oberschlesien geführt.“ Neben dem Zeugnis von 
Kardorff, verweise ich Sie auf die erst in diesem Jahr er- 
schienene Schrift eines früheren Landrats im Posenschen, des 
Kammerherrn Baron Puttkamer „Die Mißerfolge in der 
Polenpolitik“, die ganz dasselbe besagt. Also die Germani- 
sierungspolitik, das sieht man jetzt — abgesehen von den 
fanatischen Hakatisten — ziemlich allenthalben ein, hat 
Bankerott gemacht. Sie hat das Polentum numerisch 
nicht geschwächt und es moralisch ungeheuer gestärkt. Vor 
ein paar Jahren traf ich einmal in Scheveningen einen 
polnischen Grafen aus dem Warschauischen. Ich kam mit 
ihm in ein Gespräch. Er erzählte mir, auf der Herreise 
habe er Station in Posen gemacht, das erzbischöfliche Palais 
besucht, und dort seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, 
daß er Bauern und gemeine Leute habe Zeitungen lesen 
sehen; das kenne man in Russisch- Polen gar nicht. Da sei 
ihm geantwortet worden: „Das verdanken wir alles den 
Preußen; sie haben uns wohlhabend gemacht, sie haben 
uns gebildet gemacht, jetzt machen sie uns auch noch zu 
Patrioten.“ Jetzt machen sie uns auch noch zu Patrioten — 
nämlich zu polnischen! Welch ein blutiger Hohn! Wie geht
	        
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