Indirekte Wahl. 30
seiner Nachbarschaft suchen, dem er vertraut, und diese so
gewählten Wahlmänner erst sollen dann den Volksvertreter
bestimmen. Dieses System hat die darauf gesetzten Hoff-
nungen allenthalben, wo es eingeführt worden ist, enttäuscht.
Die Wahlmänner in Preußen ebenso wie die Elektoren in
Amerika sind zu bloßen Briefträgern geworden, denen von
vornherein keine andere Aufgabe zufällt, als einem bestimmten
Mann ihre Stimme zu geben. Nur ganz selten, etwa
wenn nachträglich Kompromisse geschlossen werden, haben
die Wahlmänner eine gewisse selbständige Bedeutung gehabt,
und daneben hemmt dieser Wahlmodus, wenn er mit kleinen
Urwahlbezirken verbunden ist, ziemlich stark die Wahl-
agitation und wirkt deshalb mittelbar konservativ.
In der Verzweiflung, durch irgendwelche Konstruktions- Ständische
kunststücke auf dem Wege des Wählens zu einem wirklichen Bertretung.
und vernünftigen Volkswillen zu gelangen, kommen Theo-
retiker immer von Zeit zu Zeit wieder auf den alten Stände-
Gedanken zurück. Auch Bismarck hat zuweilen damit ge-
spielt. Man will das ganze Volk nach Ständen gruppieren,
oder, anders ausgedrückt, man will die natürlich vorhandenen
ständischen Differenzen organisieren und jedem dieser Stände
dann eine bestimmte Jahl der Abgeordneten zuweisen. Der
Erfolg würde sein, daß dann derjenige Stand oder diejenigen
Stände, die die Majorität haben, stets die Lasten auf die
Minorität legen würden. Alles hängt also davon ab,
wie die Vertreterzahl der einzelnen Stände normiert wird.
Die heftigsten Gegner des ständischen Gedankens sind
natürlich die Sozialdemokraten. Aber wenn man von den
397 Mandaten des Reichstags der Arbeiterschaft von vorn-
herein 200 zuweisen wollte, so würden auch sie sich vielleicht
mit dem ständischen Gedanken befreunden. Desto weniger
die anderen. Hier ist schlechterdings kein Ausgleich möglich,