Mängel der Demokratie. 49
Die heutige Schweiz sowie das heutige England sind
frei von Korruption. Weshalb sie sich in diesem Punkt
von den anderen demokratisch regierten Staaten so sehr
zu ihrem Vorteil unterscheiden, ist nicht leicht zu sagen.
Aber wenn auch gerade dieses Übel ausgerottet scheint, so
klagt man über andere. In der Schweiz fürchtet die
städtische Intelligenz zwischen den Bauern auf der einen,
den Fabrikarbeitern auf der anderen Seite eingequetscht und
zerrieben zu werden*) und auch in England, wo man sich
ja noch immer im Übergangsstadium von der Aristokratie
zur Demokratie befindet, sieht man mit großer Besorgnis
die neue Demokratie heraufziehen. Die Konservativen, die
schon jetzt über die drückende Höhe der Einkommen-, Be-
sitz- und Erbschaftssteuern Stein und Bein klagen, fürchten
sozialistische Experimente. Früher, sagen sie, hätten die-
jenigen das Parlament gewählt, die die Last des Staates
getragen und die Steuern bezahlt hätten; heute wählten
die, die vom Staate etwas haben wollten. Das Kapital ist
schon so eingeschüchtert, daß es sich ins Ausland zieht**).
Namentlich aber bezweifelt man, ob die Demokratie der
auswärtigen Politik, der Behauptung und Beherrschung des
ungeheuren Weltimperiums gewachsen sein wird.
Alle diese Regierungen, dürfen wir sagen, sind zwar
stark durch die innere Teilnahme und den guten Willen
breiter Massen der Staatsbürger, aber es fehlt ihnen gar
zu leicht an der für die Lenkung der Staaten unentbehr-
lichen Ehrlichkeit, Weisheit und Festigkeit. Alle Wünsche
*) Hasbach, Die moderne Demokratie. S. 340.
**) Dies wurde mir bei meinem jüngsten Aufenthalt in England
von verschiedenen Seiten bestätigt. Besonders der Niedergang der englischen
Landwirtschaft soll zum Teil daher rühren, daß man sich aus Furcht vor der
Enteignung nicht mehr getraut, dem Boden das genügende Kapital zu-
zuwenden.