58 Das Dereiklassen-Wahlrecht.
tum treten mußte. Das wurde damals nicht bloß in
Preußen, sondern in aller Welt offen bekannt und gefordert,
und in einer Verordnung, die Hardenberg vom Wiener Kon-
greß aus 1815 verkündete, positiv in Aussicht gestellt und
nicht erfüllt. Warum nicht? Eben aus dem Grunde, den
ich vorhin schon angab, war damals eine Verfassung un-
möglich. Eine bloße preußische Volksvertretung war ein Un-
ding in sich; die preußische Volksvertretung mußte trachten,
die deutsche Volksvertretung zu werden. Mit der Schaffung
einer preußischen Verfassung mußte notwendig die deutsche
Frage ins Rollen kommen. So wirkte die nationale Frage
hemmend auf die Bildung einer Verfassung in Preußen
und damit zugunsten der Reaktionäre. Das Produkt der
ponderierenden Kämpfe, die darüber entstanden, ist das
Zwischending zwischen einer ständischen Vertretung und
einer allgemeinen Volksvertretung, das Dreiklassenwahlrecht,
das in Preußen noch heute besteht, von Biomarck aber für
das Deutsche Reich fallen gelassen und durch das allgemeine
gleiche Stimmrecht ersetzt worden ist, um die öffentliche
Meinung in ganz Deutschland für das große ziel eines
preußisch- deutschen Nationalstaates zu gewinnen. Denn das
preußische Königtum, so stark er war — allein konnte es das
Ziel der deutschen Einigung unter dem schwarz- weißen Banner
nicht erreichen. Bismarck wollte deshalb die Masse mit auf-
nehmen, die Masse heranziehen mit ihrer ungeheuren Wucht.
Er hoffte, ihre Unterstützung zu erlangen, indem er ihr die Volks-
vertretung gab. Dem Schwarzweiß fügte er das Rot zu. Im
Frühjahr 1866 verkündigte er, er wolle eine Verfassung mit
einer Volksvertretung auf Grund des allgemeinen gleichen
Stimmrechts vereinbaren. So ist der Norddeutsche Reichs-
tag gewählt worden, mit dem die Verfassung vereinbart
und dann auf das Deutsche Reich erweitert worden ist.