70 Wähler und Gewählte in England.
klagt über die Tyrannei der Parteiherrschaft, aber während
Belloc hofft, diese Tyrannei zu überwinden durch die Fort-
bildung der Demokratie, sieht Mac Kechnie gerade in der Demo-
kratie die Beschwerde der Gegenwart und die Gefahr der
Zukunft*).
Wer also wählt in der modernen Demokratie die soge-
nannte Volksvertretung?
Betrachten wir zunächst England.
In der Mitte der 60 er Jahre wurde ein sehr populäres
Buch über das englische Regierungssystem von Bagehot
geschrieben, das auch in Deutschland viel gelesen worden
ist und viel Einfluß gehabt hat. Dort wird gesagt, daß
das Volk gewohnt sei, bei der Wahl nicht einen Mann
seinesgleichen zu wählen, sondern einen höherstehenden.
Denn aus der alten aristokratischen Zeit war man gewohnt,
sich von den beiden vorhandenen Parteien die auszusuchen,
die man haben wollte, und verlangte nicht, daß der
Repräsentant genau das repräsentiere, was der Wähler
wollte, sondern nahm an, daß er seinen eigenen Verstand
und seine eigene Tendenz zum Ausdruck bringe. Das ist
wunderschön von dem großen Staatsmann Burke schon
1791 zum Ausdruck gebracht worden, der als der erste die
verhängnisvolle Wirkung der französischen Revolution unter
den europäischen Staatsmännern vorausgesehen hat, und
zu seinen Wählern sagte: „Euer Vertreter schuldet Euch
nicht nur seine Arbeit, sondern auch sein Urteil, und er
verrät Euch, anstatt Euch zu dienen, wenn er es Eurer
Meinung zum Opfer bringt.“ Es soll also den Vertreter
*) Die Gneistschen Werke über englische Verfassung nenne ich
nicht mehr, da sie, bei allem Verdienst, das sie ihrerzeit hatten, heute
als veraltet angesehen werden müssen. Vgl. meine Besprechung Preuß.
Jahrb. Bd. 55 S. 104 (1885).