Oligarchie in der Sozialdemokratie. 77
Notwendigkeit, in dem politischen Parteikampf schnell Be-
fehle zu erteilen, Direktiven zu geben, alles das verlange
Führer, und weiter verlange das Leben der Partei eine
Organisation mit einem Beamtenapparat und zwar einem
bezahlten Beamtenapparat.
Der Sozialdemokratie leisten oft Mitglieder mit großem
Eifer freiwillige Dienste im Zettelaustragen u. dgl.,
aber solche Vorgänge stellen nur die Ausnahme von der
in der Sozialdemokratie herrschenden Regel dar, daß jede
ihr geleistete Arbeit, von der kleinsten Zeitungsnotiz bis zur
längsten Versammlungsrede, honoriert wird. Dieses System,
das im ganzen vom Heroismus und Enthusiaszmus abstrahiert
und auf spontane Freiwilligendienste Verzicht leistet, dafür aber
die Arbeitsfähigkeit der Parteimitglieder in seinen geregelten
und besoldeten Dienst stellt, verleiht der Partei eine unge-
meine innere Geschlossenheit, eine Macht über ihr eigenes
Menschenmaterial, die zweifelsohne häufig der Elastizität,
der Initiative, endlich auch dem Geist des Sozialismus
Abbruch tut, gleichzeitig aber eine ihrer wichtigsten und un-
entbehrlichsten Grundlagen bildet.
Wir sehen unsere Sozialdemokratie in einer doppelten
Organisation vor uns: 1. die eigentliche Parteiorganisation,
2. die Gewerkvereine. Die Gewerkvereine sind ja prinzipiell
nicht Parteiorganisationen, praktisch aber sind sie es dennoch.
Es ist ja das Wort geprägt worden: „Gewerkschaft und
Sozialdemokratie sind eins.“ Nun sind die Gewerkvereine
sehr viel stärker und zahlreicher als die Partei, und da sie
praktische Zwecke verfolgen, haben sie viel größere Mittel.
Sie sind aber ganz scharf zentralistisch organisiert. Der
Gewerkschaftsvorstand ernennt die Vorstände der Lokal-
organisationen. Die Lokalorganisationen wählen Abgeordnete,
die wieder den Gewerkschaftsvorstand bilden. Das scheint
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