Demagogen als Höflinge des Volkes. 79
Wählerschaft entscheidet über die Kandidaten, sondern die
Vorstände der Parteien.“ Mit den schärfsten Mitteln und
Drohungen, z. B. jede Hilfe in der Agitation zu verweigern,
würden mißliebige Persönlichkeiten aus der Kandidatur ent-
fernt. Die Folge sei Byzantinismus und Kadavergehorsam.
Als Beispiel für diesen Gehorsam führt Michels S. 137
an, daß gemäß dem erteilten Wink das Gros der Delegierten
auf dem Parteitag 1904 den Generalstreik als Generalunsinn
verwarf, ihn 1907 proklamierte und ihn 1906 in die Kinder-
stube der Utopien zurückwies.
Mit der Bildung des Führertums zugleich beginnt durch
die langjährige Amtsdauer sein kastenmäßiger Abschluß.
Nur wenn die herrschende Klasse den Bogen gar zu sehr
überspannte, könnte einmal die Parteimasse revolutionieren
und aktiv dagegen auftreten.
Die Verehrung und Nachahmungssucht der Massen,
sagt Michels, gegenüber den Führern sei ganz ähnlich wie
in der höfischen Gesellschaft; sie würde, wie jemand von
dem Hofe Ludwig XIV. gesagt hat, in komplette Idololatrie
ausarten, wenn die Führer sich auch noch einfallen lassen
sollten, gute Menschen zu sein. Aber wie am Hofe seien
die Führer in einem fortwährenden stillen Kampf unter-
einander um die Führerstellen. „Daher in allen modernen
Volksparteien jener tiefe Mangel an wahrhaft brüderlichem
Geist, an menschlichem Vertrauen.“ Die Führer der Gewerk-
schaften geständen auch das Streben nach einer oligarchischen
Regierung schon offen zu (S. 141).
Dasselbe ist übrigens vor etwa 20 Jahren schon in
Frankreich einmal gesagt worden. 1884 erschien ein Buch
„Handbuch des Demagogen“ von Raoul Frary, über-
setzt von Ostmann, worin das ganze Parteiwesen Frankreichs
geschildert und gesagt wird: Der moderne Demagog ist