Franz Mehring.
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der Höfling der Masse. Genau mit denselben Mitteln der
Schmeichelei, der Beschönigung, dem Zuwillensein, wie die
Höflinge den König für sich zu gewinnen suchen, um dann
durch ihn und über ihn zu herrschen, so sucht der Demagog
die Massen für sich zu gewinnen; und wir haben in Michels
jetzt das Zeugnis, wie weit es damit tatsächlich schon ge-
kommen ist. Je mehr die Massenorganisation wächst, desto
mehr, stellt Michels mit Bedauern fest, verliert sie an revo-
lutionärer Dynamis; man vermeide ängstlich, den Staat gar
zu sehr zu reizen, damit er die kostbare Parteiorganisation,
die so vielen Leuten Brot gebe, nicht etwa gar zerstöre.
Es ist ja auch von anderer Seite längst vorausgesagt
worden, daß, je größer eine solche Revolutionspartei wird,
sie ihrem Ziel einer wirklichen Revolution nicht näher kommt,
sondern sich innerlich von ihm entfernt.
Gestatten Sie mir hier wieder eine kleine persönliche
Reminiszenz einzuflechten. Ich hielt im Jahre 1912 die
Festrede in der Universitätsaula und hatte mir das Thema
gewählt: „Geist und Masse in der Geschichte“. (Abgedr. im
Febr.-Heft d. Preußischen Jahrbücher 1912), worin ich nach-
zuweisen versuchte, daß die Masse als solche nicht aktions-
fähig ist, sondern daß es erst die Organisation, d. h. der
Geist ist, der die Masse aktionsfähig macht, so daß die An-
tithese: Masse gegen Geist falsch ist; wo Masse in Bewe-
gung ist, muß Geist sein; sonst ist die Masse tot. Ich
ging aus von den Massenheeren in der Geschichte und
legte den so feinen wie gewaltigen Organismus dar, der
notwendig ist, um diese Massen zu bewegen. Darauf kam
eine Antwort in der Leipziger Volkszeitung, zweifellos aus
der Feder von Franz Mehring (es hatte unmittelbar vorher
die Reichstagswahl mit dem großen Sieg der Sozialdemo-
kraten und ihren 110 Mandaten stattgefunden). Diese