86 Einfluß des Volkes in England.
sprechen, was in England immer der entscheidende Punkt
ist. Bei uns stimmen alle Parteien zeitweilig für, zeit-
weilig gegen die Regierung. Gestern haben wir das bei-
nahe ungeheuerliche Bild gehabt, daß eine große Steuer
angenommen wurde mit allen Stimmen, die Sozialdemo-
kraten eingeschlossen, gegen die Konservativen und die Polen.
Kommen wir nun auf die Frage: Wo hat die Volks-
vertretung eine stärkere Einwirkung auf die Gesetzgebung,
in London oder in Berlin? Man müßte sagen, in London,
solange man daran festhält, daß die Regierung dort nichts
ist als der Ausdruck des Volkswillens. Der Dualismus
existiert ja nicht, sondern die Führer der Majorität bringen
die Gesetze ein und ihre Gefolgschaft nimmt sie an, solange
sie sich gegen ihre Führer nicht auflehnt. Es wäre also
alles in Ordnung, wenn es wahr wäre, daß das Unterhaus
den Volkswillen repräsentiert. Wir wissen ja aber, daß
das nur mit großer Modifikation gilt. Es repräsentiert
nicht das Volk, es repräsentiert nicht einmal die Wähler-
schaft, es repräsentiert auch häufig nicht einmal die Majo-
rität der Wählerschaft, sondern, wie wir wissen, handelt es
sich in Wirklichkeit um ein Gremium von Politikern, das
sich in freier Weise selbst ergänzt und nur in dauernder
Fühlung mit einem größeren oder kleineren Teile des
Volkes ist. Wenn die herrschende Partei dauernd an der
Regierung bliebe, würde die Minorität, vielleicht sogar die
Majorität der Wähler dauernd ausgeschlossen sein. Aber
indem die Regierung wechselt, die Parteien — bald diese,
bald jene — das Ruder in die Hand nehmen, so kann
man doch wohl sagen, daß das gesamte Volk, wenn es
auch nicht gleichzeitig, wie bei uns, mitwirkt, doch eben in
der Abwechslung stark auf die Regierung einwirkt. Ob
stärker, das ist die Frage, weil man es nicht abmessen