120 Zweites Buch. Erster Abschnitt. $ 37.
Innerhalb der Ortsarmenverbände liegt die Verwaltung der
Armenangelegenheiten entweder den ordentlichen Gemeindebehörden
oder besonderen Organen (Armendeputationen, Armenräten) ob,
welche sich aus dem Gemeindevorstand, dem Ortspfarrer, Mitgliedern
der Gemeindebehörden und sonstigen Gemeindebürgern zusammen-
setzen. Die Verwaltung des Landarmenwesens steht, jenachdem
der Staat oder ein Kommunalverband höherer Ordnung die Punktionen
des Landarmenverbandes übernommen hat, entweder den oberen
Staatsbehörden oder kommunalen Organen zu. Hinsichtlich der
Unterstützungspflicht ist das Verhältnis von Orts- und Land-
armenverbänden reichsgesetzlich so gestaltet, daß die Armenunter-
stützung regelmäßig von den Ortsarmenverbänden geleistet werden
muß. Ja, wo es an einem verpflichteten Ortsarmenverbande fehlt,
tritt ergänzend der Landarmenverband ein. Landesgesetze haben
den Landarmenverbänden außerdem die Verpflichtung auferlegt, für
Geisteskranke, Sieche, Taubstumme und Blinde Sorge zu tragen und
denjenigen Ortsarmenverbänden, welche unvermögend sind, pekuniäre
Beihilfe zu leisten ®,
Nach reichsgesetzlicher Vorschrift muß Armenunterstützung allen
Hilfsbedürftigen, d. h. denjenigen Personen gewährt werden,
die oder deren Angehörige infolge von Umständen, deren Abwendung
außer ihrer Macht liegt, nicht den notwendigen Lebensunterhalt be-
sitzen. Die Ergreifung von Maßregeln der sogenannten präventiven
Armenpflege, d. h. von solchen Maßregeln, welche den Zweck haben,
drohende Armut abzuwenden, ist keine reichsgesetzliche Verpflichtung.
Die Unterstützung wird sowohl Inländern” als Ausländern ® geleistet.
Inländer sind die Angehörigen derjenigen deutschen Staaten, in
welchen das R.G. über den Untersuitzungswohnsitz sich in Geltung
befindet, also alle Reichsangehörigen mit Ausnahme der Bayern®.
Als Ausländer gelten diejenigen Personen, welche deutsche Reichs-
angehörigkeit nicht besitzen, und Bayern !. Ausländer, welche der
außerdem noch jeder Kreis für sich einen besonderen Landarmenverband bildet,
ferner die Regierungs-Bezirke Kassel, Wiesbaden, Sigmaringen, der Kreis
Herzogtum Lauenburg und die Städte Berlin, Königsberg und Breslau; in
Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen -Meiningen, Waldeck die Kreise, in
Oldenbur, de Amtsvorstände, in Mecklenburg -Strel. der Stargardsche Kreis
und das Fürstentum Ratzeburg, in Sachs.-Kob.-Gotha jedes der beiden Herzog-
tümer.] In Reuß j. L. bilden die sämtlichen Ortsarmenverbände den Landarmen-
verband, der durch besondere Organe vertreten wird.
® Die näheren Bestimmungen über die Organisation der Armenverbände
beruhen auf landesgesetzlichen Vorschriften. Val. die Zusammenstellung bei
Krech, Anhang B.
? U.W.G. 88 2, 2.
° U.W.G. 5 60.
® Der Grundsatz, daß diese Personen in den übrigen deutschen Staaten
als Inländer zu behandeln sind, findet nach den ausdrücklichen Vorschriften des
Art. 3. der R.Verf. auf die Armenversorgung keine Anwendung.
10 Über die Unterstützung hilfsbedürftiger erkrankter Personen sind mit
einzelnen auswärtigen Staaten völkerrechtliche‘ Verträge abgeschlossen worden. —
(Vgl. dazu & 44.] — Im Verhältnis Bayerns zum übrigen Reichegebiet erscheinen
in dieser Hinsicht die Vorschriften der Eisenacher Konvention vom 11. Juli 1858
ale maßgebend, vgl. Seydel 8, 29.], der Österreich am 27. Oktober 1853 bei-
getreten ist. [Über die Bedeutung der Einführung des U.W.G. in Elsaß-Lothringen
vgl. Wohlers-Krech. $ 65%.