Budget. 429
Objekt der Beschließung, welche letztere sich, alle extraordinaria einbegriffen, auf
weniger als 200 votes beschränkt, und den Departementschefs einen weiten Spiel-
raum resp. die Verantwortlichkeit für eine zweckmäßige und sparsame Verwaltung
läßt. — Das Englische B. enthält hiernach keinen Gesammtbeschluß über den Staats-
haushalt, sondern nur eine ergänzende Beschließung über periodische Steuern
und Ueberschüsfe des Staatsschatzes einerseits, eine Beschließung über die beweglichen
Ausgaben andererseits. Auch von den Ausgaben sind nämlich die Zinsen der
Staatsschuld, die Richtergehalte und andere Ausgaben nach Gesetz und common
lay auf den Staatsschatz angewiesen und von einer „Bewilligung“ des Parlaments
unabhängig gestellt. Diese scheinbare Zerstückelung ist dadurch bedingt, daß die
dauernde gesetzliche Ordnung des Staates über der jährlich wech-
selnden Ordnung des Haushaltes stehen soll. Die gesetzlich feststehenden
Einnahmen und Ausgaben sollen nicht noch einmal vom Unterhaus „bewilligt"“
werden, damit nicht die Wirksamkeit der dauernden gesetzlichen Institutionen von
Jahr zu Jahr durch Beschlüsse des Unterhauses in Frage gestellt werde. Diesem
Grundgedanken des „Rechtsstaats“ entsprechend, faßt das Unterhaus seine Budget-
beschlüsse nur auf Initiative der Krone, und beschränkt die Vorlage, Berathung
und Beschließung auf den „Dienst des Jahres“, d. h. auf den beweglichen Theil
des Staatshaushalts, mit Ausschluß der Einnahmen und Ausgaben, welche durch
Gesetz ein für allemal feststehen. Die Einheit des Finanzplans wird durch das
mündliche Exposé des Schatzkanzlers und die mündliche Besprechung im ganzen
Hause erhalten. Das Resultat ist: 1) die Budgetbeschlüsse, als bloße Ausführungs-
normen, bleiben den Parlamentsgesetzen untergeordnet; 2) eine Ministeranklage
wegen Budgetüberschreitung ist seit zwei Jahrhunderten nicht versucht worden, und
wird auch nicht zu begründen sein, wenn ein Minister in Erfüllung einer gesetzlichen
Verpflichtung gegen einen Budgetbeschluß verstoßen hat; 3) die Spezialbeschlüsse
sind so weit gefaßt, d. h. auf wenige vota beschränkt, um dem Finanzminister die
Finanzdisposition, dem Departementschef die Verantwortlichkeit für seinen Dienst-
zweig zu belassen; 4) eine Verweigerung des Budgets im Ganzen ist nie versucht
worden, würde auch die Staatsverwaltung nicht hemmen, sondern nur die Verant-
wortlichkeit der Minister in einigen Punkten modifiziren.
II. In Frankreich war durch Sully und Colbert die Aufstellung von
Voranschlägen für den ganzen Staatshaushalt eingeführt, für welche die Bezeich-
nung „état“" üblich wurde. Unter Beseitigung ständischer Mitwirkung fiel die
Aufstellung des Etats dem Staatsbeamtenthum, die Genehmigung dem König zu.
Die Französische Revolution übernahm die vorgefundene Einrichtung, indem sie
der Genehmigung des Königs eine Zustimmung der Volksvertretung substituirte.
Diese Aenderung schien einfach und sachgemäß: man verkannte dabei aber, daß
der Gegenstand der Beschließung der für den Staat unumgänglich noth-
wendige Jahresbedarf ist, daß also der Zustimmungsbeschluß der Volksvertretung
zum allein entscheidenden Faktor wird. Es verschwindet damit die Unterschei-
dung der Einnahmen und Ausgaben, die auf Gesetz beruhen, von den wechselnden
Posten, welche für den „Jahresdienst“ bewilligt oder versagt werden mögen. Das
B. in dieser Gestalt wird zu einer „j;ährlichen Kodifikation des Staats-
haushalts“, und wie bei allen Kodifikationen wird nichts als bindend aner-
kannt, was nicht in dieselbe ausgenommen ist. Die Folge ist die Unterord-
nung aller gesetzlichen Ordnung im Staat unter die Beschlüsse der etat-
bewilligenden Kammer; denn jedes verfassungsmäßige Organ des Staats bedarf nun
zu seiner Wirksamkeit einer jährlichen Genehmigung der Majorität der Wahlver-
sammlung. Dies war es, was der Grundrichtung der neugestalteten Gesellschaft
entsprach, und darum wurde es von den wechselnden Parteien der Revolution
gleichmäßig anerkannt. Diese Budgeteinrichtung ist die finanzielle Handhabe der
franzöfischen Centralisation geworden, da zwischen der Beschließung der „Legislative