Metadata: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

BÜLOW AN DEN KRIEGSMINISTER 227 
gegen uns haben sich zwar verringert, sind aber noch nicht endgültig über- 
wunden. In Frankreich ist die Revanche-Idee, der Gedanke nicht nur an die 
Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen, sondern auch an eine Genug- 
tuung für die vor fünfunddreißig Jahren erlittenen Niederlagen und die 
Wiedergewinnung der leitenden Stellung in Europa, die Frankreich von 
Heinrich IV. bis Napoleon III., also zweihundertsiebzig Jahre, eingenom- 
men hat, nicht erloschen. Die russischen Verhältnisse sind unberechenbar. 
Die in Rußland anscheinend mehr und mehr emporsteigende demokratisch- 
revolutionäre Richtung ist antideutsch, teils wegen ihrer Hinneigung zu den 
panslawistischen Strömungen, teils weil sie in dem deutschen Kaiserreich 
und in der preußischen Monarchie im Gegensatz zu dem radikal-demokra- 
tischen Frankreich und dem konstitutionell-liberalen England einen Hort 
der ihr verhaßten hisch-konser vativen Ordnung sieht. Von unseren 
Bundesgenossen war der eine (Italien) ein nie ganz sicher einzuschätzender 
Faktor, der andere (Österreich-Ungarn) wird im besten Fall noch lange mit 
schweren inneren Problemen zu kämpfen haben. Unter diesen Umständen 
ist es unsere heilige Pflicht, nichts zu verabsäumen, damit die Nation, wenn 
früher oder später sich ein Ungewitter über uns entladen sollte, diesem so 
wohlgerüstet entgegensieht, als dies zu erreichen nur immer in unserer 
Kraft steht. Wie eintretendenfalls die Würfel auf dem Schlachtfelde fallen, 
steht in Gottes Hand. Aber wir sind vor Gott und der Geschichte dafür 
verantwortlich, daß hinsichtlich der technischen Ausrüstung der Armee 
nichts verabsäumt wird, damit das deutsche Volk, wenn es den Kriegspfad 
beschreiten muß, dies in tadelluser und lückenloser Rüstung mit allen 
Chancen des Erfolges tut. Es ist ein militärischer Laie, der zu Ihnen spricht. 
Deshalb kann ich natürlich nicht auf Einzelheiten eingehen, und auch für 
die nachstehenden Fragen erbitte ich die Nachsicht eines so kompetenten 
Militärs, wie Sie es sind. Welche militärischen Maßnahmen technischer 
Natur könnten unsererseits in Betracht kommen als Gegenmaßregeln gegen 
die französischen Maßnahmen und Anstrengungen ? Brauchen wir nicht mehr 
Maschinengewehre? Ist eine schnellere Umbewaffnung der Artillerie 
nicht notwendig? Wie steht es mit der Ausgestaltung der Verkehrstruppen ? 
Mit der Bespannung der schweren Artillerie des Feldheeres? Mit den lenk- 
baren Luftschiffen ? Mit einer praktischeren, mehr als jetzt auf den Ernst- 
fall berechneten, lediglich nach kriegerischen Rücksichten und Erwägungen 
ausgewählten Uniformierung der Armee? Was nun die taktische Be- 
handlung einer eventuellen Vorlage angeht, so empfiehlt es sich natürlich, 
zu vermeiden, was im Auslande Mißtrauen oder auch nur unnötiges Aufsehen 
erregen könnte. Wir müssen in dieser Beziehung den Franzosen nach- 
ahmen, die ihre Rüstungen in aller Ruhe und Stille vornehmen. Also keine 
provozierenden Reden, keine gegen irgendeine Macht besonders ihre Spitze 
15°
	        
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