8 8. Die „gesetzmäßige Verwaltung‘. 123
gebnis gelangt die preußische Verfassungsurkunde vom 31. Ja-
nuar 1850 in dem Titel ‚Von den Rechten der Preußen‘. Sie
gewährleistet persönliche Freiheit und Eigentum der Bürger,
behält aber dem zwischen König und Volksvertretung verein-
barten Gesetze vor, die Bedingungen und Formen zu bestimmen,
unter denen die persönliche Freiheit und das Eigentum be-
schränkt oder entzogen werden dürfen.* Daraus folgt, daß in
den Fällen, in denen das Gesetz schweigt, die Behörde nicht in
die Rechtssphäre des Bürgers eingreifen darf, m. a. W. der
Bürger keine Pflicht gegenüber der Staatsgewalt zu erfüllen hat.°
Andrerseits ergibt sich aber aus dem Grundsatz der gesetz-
mäßigen Verwaltung, daß die Behörde einen vom Bürger er-
hobenen öffentlichrechtlichen Anspruch nur befriedigen darf, so-
fern ihn das Gesetz ausdrücklich anerkannt hat.
Der Gesetzgeber des Verfassungsstaates ist jedoch bis heute
nicht in der Lage gewesen, das ganze große Gebiet der Verwal-
tung, das aus den Tagen des Polizeistaats übernommen worden
ist, gesetzlich neuzugestalten und der Verwaltungsbehörde für
jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum der Bürger die Grund-
lage in neuen, unter Mitwirkung der Volksvertretung erlassenen
Gesetzen zu schaffen.° Infolgedessen hat die Praxis in Fällen,
in denen ein unabweisliches Bedürfnis zu obrigkeitlichem
Einschreiten vorgelegen hat, vorkonstitutionelle Erlasse des
Landesherrn (Kabinettsordres usf.) verfassungsmäßigen Gesetzen
* Preuß. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, Art.5: „Die
persönliche Freiheit ist gewährleistet. Die Bedingungen und Formen,
unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondere eine Verhaftung
zulässig ist, werden durch das Gesetz bestimmt.‘‘ Art. 62. Vgl. dazu das
Preuß. Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, von 12. Februar 1850.
Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat, I S. 132f.
5 Das gilt wie für Einzelpersonen, so auch für Verbände innerhalb
des Staats, so z.B. für die Gemeinden. Gegen diesen Grundsatz verstößt
die Rechtsprechung des badischen Verwaltungsgerichtshofs,; sie ver-
pflichtet die Städte mit staatlicher Polizeiverwaltung, grundsätzlich
alle Kosten der staatlichen Polizeigewalt zu tragen, trotzdem das badische
Recht eine allgemeine Rechtsnorm dieses Inhaltes nicht kennt. Vgl.
darüber oben S. 115, Anın. 42.
8 Vgl. zum Folgenden Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I],
S. 120ff. Zum Teil davon abweichend Thoma, Polizeibefehl im Badi-
schen Recht, I, S. 106ff. S. ferner Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzes-
anwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, 1913, S. 174.