Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
III. Armenpolizei 
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bleibt und dann sogar durch ein wohlgeordnetes A- 
Wesen und eine mit dem Wohlstand der Bevölkerun 
steigende Bereitwilligkeit zum Helfen unanshörlich 
gesteigert wird. Die manchesterliche Schule ging 
daher soweit, den Ausschluß der ApPflege für 
arbeitsfähige Personen zu fordern, während die 
moderne Anschauung und die tatsächliche Uebung 
der Apflege dahin gelangt sind, auch arbeits- 
fähigen Personen die Hilfe der öffentlichen AnPflege 
zuteil werden zu lassen und nur gewisse Sicherheiten 
gegen ihren Mißbrauch zu fordern. Hierbei ist die 
Vermischung von A- und Bettelwesen, die der 
Zeit bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts 
ganz geläufig war, im ganzen ausfgegeben, sodaß 
die Maßregeln der Anflege von denen gegen 
Bettler völlig geschieden werden, obwohl ihr innerer 
Zusammenhang sehr bedeutend ist. Auch wir be- 
handeln das Bettel- und Landstreicherwesen ab- 
gesondert (s. d. Artikel) und gehen an dieser Stelle 
nur auf diejenigen Maßregeln ein, die in un- 
mittelbarstem Zusammenhang mit der A#flege 
stehen: armenpolizei liche Maßregeln im 
engeren Sinne. 
#5s#2. Zwangsmaßregeln gegen arbeitsfähige 
Personen a) Daß auch Arbeitsfähige, sofern sie sich 
tatsächlich im Zustande der Bedürftigkeit befinden, 
zu unterstützen sind, ist durch die Ggebung wie durch 
die Rechtsprechung anerkannt; und ebenso ist an- 
erkannt, daß grundsätzlich die U solcher Person 
nur gegen Arbeitsleistung ihrerseits statt- 
finden soll (ogl. Preußen 1, Sachsen AO 
## l 27 ff, Württemberg a l, Baden ## 8 
u. a. m., ähnlich auch Bayerna 10, III). Nur 
begegnet die praktische Ausführung unendlichen 
Schwierigkeiten, die vornehmlich in dem sehr dehn- 
baren Begriff der Arbeitsfähigkeit, wie in dem 
häufigen Mangel an geeigneter Arbeit begründet 
sind. Denn, wenn hier individualisiert und jedem 
die geeignete Arbeit angewiesen werden soll, so ist 
eben zu unterscheiden zwischen der Arbeitsfähigkeit 
des gesunden, erwachsenen Mannes und des durch 
liederlichen Lebenswandel herabgekommenen Land- 
streichers, zwischen der des jungen und des alten 
Menschen, der eines vorgebildeten Künstlers oder 
Handwerkers und der des einfachen Tagelöhners. 
Diesen allen Arbeit zu verschaffen, wenn sie, sei 
es verschuldet oder unverschuldet, bedürftig sind, 
heißt entsprechende Arbeit bereit halten und, wo 
sie nicht vorhanden ist, sie künstlich schaffen. In 
ihren letzten Konsequenzen führt diese Verpflich- 
tung zu jener Forderung, welche unter dem Schlag- 
wort „Recht auf Arbeit“ bekannt ist. Ein 
solches Recht ist freilich in keiner Ggebung, nament- 
lich nicht in den so oft fälschlich hierfür angerufenen 
s# 1, 2, II 19 des preuß. AL# anerkannt, so 
wenig dem Bedürftigen ein klagbarer Anspruch 
auf U zusteht. Aber tatsächlich würde, konsequent 
durchgeführt, die Pflicht der Arbeitsverschaffung 
in der Weise ein Recht auf Arbeit schaffen, 
daß jeder befugt sein würde, unter dem Vorgeben, 
arbeitslos zu sein, die AVerw um Arbeit anzu- 
gehen, und daß die AVerw dazu gelangen würde, 
die erbetene Arbeit zu gewähren, den Lohn dafür 
auszuzahlen, das Arbeitsprodukt zu vertreiben und 
die Differenz zwischen Lohn und Warenpreis durch 
Zuschüsse aus der A-Kasse d. h. aus öffentlichen 
Mitteln zu decken. Diese Konsequenzen zu ziehen, 
ist ummöglich; wo es geschehen ist, wie namentlich 
in ausgedehntem Maßstabe in England unter der 
  
Herrschaft der gilberts act v. 1782, in Hamburg 
1788 und in den französischen ateliers nationaux 
1848 sind Mißstände der schlimmsten Art, wie 
namentlich Verschiebung der Lohn= und Preis- 
verhältnisse, Förderung des Müßigganges, Herab- 
drückung des Erwerbstriebes, Auswanderung we- 
gen drückender ALasten u. a. m. nicht ausgeblieben. 
Abgesehen davon, daß derartige Erfahrungen die 
Schranken anzeigten, innerhalb deren die AVerw 
sich zu bewegen hat, haben sie auch dargetan, daß 
dem Bedürfnis schon genügt werden kann, wenn 
statt einer allgemeinen Bereithaltung von Arbeit 
nur in Ansehung der arbeitsfähigen, aber ar- 
beitsscheuen Personen das Bedürfnis nach 
1# sorgfältig geprüft und gegen diese unter möglichst 
harten Formen der Arbeitszwang bezw. 
eine Beschränkung der persönlichen 
Freiheit durchgeführt wird, was beides freilich in 
der Praxis auch nicht ohne Schwierigkeit ist. — 
b) Das Arbeitshausprinzip ist eine 
besondere Erscheinungsform des Grundsatzes des 
Arbeitszwanges. Seine Vertreter gehen davon 
aus, daß die U regelmäßig keine Verbesserung der 
Lage der Bedürftigen gegenüber dem freien Ar- 
beiter herbeiführen dürfe und daher schon der Form 
nach so beschaffen sein müsse, daß niemand ohne 
wirkliche Not sie anzunehmen geneigt sein werde. 
Wer aber durch die Annahme sein Unvermögen 
zur eigenen Erwerbstätigkeit auf diese Weise klar 
gestellt habe, bedürfe einer gewissen Aufsicht und 
Freiheitsbeschränkung, die wirksam nur in ge- 
schlossener APpflege mit entsprechender Anstalts- 
disziplin möglich sei. Man hat in England, dem 
Musterlande der AHäuser (workhouse), aber auch 
vielfach in Deutschland mit der Errichtung von 
Arbeitshäusern und strenger Innehaltung des 
Grundsatzes, nur in ihnen U zu verabfolgen, gute 
Erfolge erzielt, die sich namentlich in wesentlicher 
Verminderung der UGesuche und dementspre- 
chend der ALast zeigten. Man hat aber anderer- 
seits die Wahrnehmung gemacht, daß solche An- 
stalten sehr leicht in Extreme verfallen, indem sie 
bei allmählich laxerer Handhabung wieder zu 
disziplinlosen AHäusern, oder bei zu straffer Hand- 
habung der Disziplin zu Korrektionsanstalten wer- 
den, was beides dem gewollten Charakter der Au- 
nicht entspricht; auch wird auf ihre größere Kost- 
spieligkeit gegenüber der offenen Apflege und 
auch hier wieder auf die große Schwierigkeit ge- 
eigneter Arbeitsverschaffung hingewiesen. Ob sich 
daher die Errichtung von Arbeitshäusern empfiehlt, 
wird jede AVerw nur nach Maßgabe ihrer Mittel, 
ihrer Arbeitsgelegenheiten und des Standes ihrer 
Apfflege zu ermessen haben. In verwaltungs- 
rechtlicher Beziehung unterliegt ihre Errich- 
tung und die Unterbringung von Bedürftigen darin 
jedenfalls keinem Bedenken, da es jeder AVerw 
überlassen bleibt, in welcher Form sie U gewähren 
will: die oben angezogenen GBestimmungen 
sprechen die Zulässigkeit, sowie die Anwendung 
von HausO und Arbeitszwang ausdrücklich aus. — 
Besonderer Erwähnung wert sind in diesem Zu- 
sammenhange die sogen. Bezirksanstalten. 
Angesichts der finanziellen, wie technischen Lei- 
stungsunfähigkeit der meisten kleinen AV gegen- 
über den arbeitsscheuen Elementen ist man vielfach 
dazu übergegangen, eine Mehrzahl von Verbänden 
zu Bezirken zu vereinigen und für diese Ar- 
beitsanstalten zu errichten, in welche alle 
  
 
	        
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