III. Armenpolizei
217
bleibt und dann sogar durch ein wohlgeordnetes A-
Wesen und eine mit dem Wohlstand der Bevölkerun
steigende Bereitwilligkeit zum Helfen unanshörlich
gesteigert wird. Die manchesterliche Schule ging
daher soweit, den Ausschluß der ApPflege für
arbeitsfähige Personen zu fordern, während die
moderne Anschauung und die tatsächliche Uebung
der Apflege dahin gelangt sind, auch arbeits-
fähigen Personen die Hilfe der öffentlichen AnPflege
zuteil werden zu lassen und nur gewisse Sicherheiten
gegen ihren Mißbrauch zu fordern. Hierbei ist die
Vermischung von A- und Bettelwesen, die der
Zeit bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts
ganz geläufig war, im ganzen ausfgegeben, sodaß
die Maßregeln der Anflege von denen gegen
Bettler völlig geschieden werden, obwohl ihr innerer
Zusammenhang sehr bedeutend ist. Auch wir be-
handeln das Bettel- und Landstreicherwesen ab-
gesondert (s. d. Artikel) und gehen an dieser Stelle
nur auf diejenigen Maßregeln ein, die in un-
mittelbarstem Zusammenhang mit der A#flege
stehen: armenpolizei liche Maßregeln im
engeren Sinne.
#5s#2. Zwangsmaßregeln gegen arbeitsfähige
Personen a) Daß auch Arbeitsfähige, sofern sie sich
tatsächlich im Zustande der Bedürftigkeit befinden,
zu unterstützen sind, ist durch die Ggebung wie durch
die Rechtsprechung anerkannt; und ebenso ist an-
erkannt, daß grundsätzlich die U solcher Person
nur gegen Arbeitsleistung ihrerseits statt-
finden soll (ogl. Preußen 1, Sachsen AO
## l 27 ff, Württemberg a l, Baden ## 8
u. a. m., ähnlich auch Bayerna 10, III). Nur
begegnet die praktische Ausführung unendlichen
Schwierigkeiten, die vornehmlich in dem sehr dehn-
baren Begriff der Arbeitsfähigkeit, wie in dem
häufigen Mangel an geeigneter Arbeit begründet
sind. Denn, wenn hier individualisiert und jedem
die geeignete Arbeit angewiesen werden soll, so ist
eben zu unterscheiden zwischen der Arbeitsfähigkeit
des gesunden, erwachsenen Mannes und des durch
liederlichen Lebenswandel herabgekommenen Land-
streichers, zwischen der des jungen und des alten
Menschen, der eines vorgebildeten Künstlers oder
Handwerkers und der des einfachen Tagelöhners.
Diesen allen Arbeit zu verschaffen, wenn sie, sei
es verschuldet oder unverschuldet, bedürftig sind,
heißt entsprechende Arbeit bereit halten und, wo
sie nicht vorhanden ist, sie künstlich schaffen. In
ihren letzten Konsequenzen führt diese Verpflich-
tung zu jener Forderung, welche unter dem Schlag-
wort „Recht auf Arbeit“ bekannt ist. Ein
solches Recht ist freilich in keiner Ggebung, nament-
lich nicht in den so oft fälschlich hierfür angerufenen
s# 1, 2, II 19 des preuß. AL# anerkannt, so
wenig dem Bedürftigen ein klagbarer Anspruch
auf U zusteht. Aber tatsächlich würde, konsequent
durchgeführt, die Pflicht der Arbeitsverschaffung
in der Weise ein Recht auf Arbeit schaffen,
daß jeder befugt sein würde, unter dem Vorgeben,
arbeitslos zu sein, die AVerw um Arbeit anzu-
gehen, und daß die AVerw dazu gelangen würde,
die erbetene Arbeit zu gewähren, den Lohn dafür
auszuzahlen, das Arbeitsprodukt zu vertreiben und
die Differenz zwischen Lohn und Warenpreis durch
Zuschüsse aus der A-Kasse d. h. aus öffentlichen
Mitteln zu decken. Diese Konsequenzen zu ziehen,
ist ummöglich; wo es geschehen ist, wie namentlich
in ausgedehntem Maßstabe in England unter der
Herrschaft der gilberts act v. 1782, in Hamburg
1788 und in den französischen ateliers nationaux
1848 sind Mißstände der schlimmsten Art, wie
namentlich Verschiebung der Lohn= und Preis-
verhältnisse, Förderung des Müßigganges, Herab-
drückung des Erwerbstriebes, Auswanderung we-
gen drückender ALasten u. a. m. nicht ausgeblieben.
Abgesehen davon, daß derartige Erfahrungen die
Schranken anzeigten, innerhalb deren die AVerw
sich zu bewegen hat, haben sie auch dargetan, daß
dem Bedürfnis schon genügt werden kann, wenn
statt einer allgemeinen Bereithaltung von Arbeit
nur in Ansehung der arbeitsfähigen, aber ar-
beitsscheuen Personen das Bedürfnis nach
1# sorgfältig geprüft und gegen diese unter möglichst
harten Formen der Arbeitszwang bezw.
eine Beschränkung der persönlichen
Freiheit durchgeführt wird, was beides freilich in
der Praxis auch nicht ohne Schwierigkeit ist. —
b) Das Arbeitshausprinzip ist eine
besondere Erscheinungsform des Grundsatzes des
Arbeitszwanges. Seine Vertreter gehen davon
aus, daß die U regelmäßig keine Verbesserung der
Lage der Bedürftigen gegenüber dem freien Ar-
beiter herbeiführen dürfe und daher schon der Form
nach so beschaffen sein müsse, daß niemand ohne
wirkliche Not sie anzunehmen geneigt sein werde.
Wer aber durch die Annahme sein Unvermögen
zur eigenen Erwerbstätigkeit auf diese Weise klar
gestellt habe, bedürfe einer gewissen Aufsicht und
Freiheitsbeschränkung, die wirksam nur in ge-
schlossener APpflege mit entsprechender Anstalts-
disziplin möglich sei. Man hat in England, dem
Musterlande der AHäuser (workhouse), aber auch
vielfach in Deutschland mit der Errichtung von
Arbeitshäusern und strenger Innehaltung des
Grundsatzes, nur in ihnen U zu verabfolgen, gute
Erfolge erzielt, die sich namentlich in wesentlicher
Verminderung der UGesuche und dementspre-
chend der ALast zeigten. Man hat aber anderer-
seits die Wahrnehmung gemacht, daß solche An-
stalten sehr leicht in Extreme verfallen, indem sie
bei allmählich laxerer Handhabung wieder zu
disziplinlosen AHäusern, oder bei zu straffer Hand-
habung der Disziplin zu Korrektionsanstalten wer-
den, was beides dem gewollten Charakter der Au-
nicht entspricht; auch wird auf ihre größere Kost-
spieligkeit gegenüber der offenen Apflege und
auch hier wieder auf die große Schwierigkeit ge-
eigneter Arbeitsverschaffung hingewiesen. Ob sich
daher die Errichtung von Arbeitshäusern empfiehlt,
wird jede AVerw nur nach Maßgabe ihrer Mittel,
ihrer Arbeitsgelegenheiten und des Standes ihrer
Apfflege zu ermessen haben. In verwaltungs-
rechtlicher Beziehung unterliegt ihre Errich-
tung und die Unterbringung von Bedürftigen darin
jedenfalls keinem Bedenken, da es jeder AVerw
überlassen bleibt, in welcher Form sie U gewähren
will: die oben angezogenen GBestimmungen
sprechen die Zulässigkeit, sowie die Anwendung
von HausO und Arbeitszwang ausdrücklich aus. —
Besonderer Erwähnung wert sind in diesem Zu-
sammenhange die sogen. Bezirksanstalten.
Angesichts der finanziellen, wie technischen Lei-
stungsunfähigkeit der meisten kleinen AV gegen-
über den arbeitsscheuen Elementen ist man vielfach
dazu übergegangen, eine Mehrzahl von Verbänden
zu Bezirken zu vereinigen und für diese Ar-
beitsanstalten zu errichten, in welche alle