Abolition — Adel 55
Gemeinschaft bloß ein Gericht höherer Instanz
betrifft, sondern dann nur für das gemeinsame
Gericht erster Instanz. Das zwingt zu dem Schlus-
se, daß die Regierungen davon ausgegangen sind,
die BKompetenz sei mit der Zuteilung an einen
Gewalthaber erster Instanz endgiltig festgelegt.
Diesen Gesichtspunkt wird man dann auch in der
lebhaft bestrittenen Frage zur Geltung bringen
müssen, ob dem Landesherrn die A. auch dann
noch zustehe, wenn die Sache bereits an das Reichs-
gericht gediehen ist, indem das Reichsgericht „eine
ihm von der Gesamtheit der verbündeten Regie-
rungen übertragene Gerichtsbarkeit verwaltet" (so-
NKG 33 S 204, Heimberger, v. Bar 496 gegen
R 28 S 419, Laband, v. Liszt u. a.).
7. Schluß. Die Zweifel an der Fortgeltung
des A.Rechtes sind zurückgetreten und auch die
Zweckmäßigkeit, obgleich vorwiegend für Am-
nestien, wird sich verteidigen lassen. Staatsrecht-
liche Schwierigkeiten liegen aber noch reichlich in
der Fernwirkung der von einem Landesherrn ge-
währten A. Schwerer wiegen die ethischen Be-
denken: ist die A. auch kein Stück Kabinettsjustiz,
so kann sie doch diesen Eindruck machen, da die
Gründe für sie ungleich weniger zutage liegen als
für die B nach durchgeführtem Verfahren. In
einer Zeit, die ein Verfahren zur bloßen Fest-
stellung der Wahrheit von beleidigenden Be-
hauptungen anstrebt, wiegt es ferner doppelt
schwer, daß es nach der A. für den Verdächtigten
an einer Möglichkeit fehlt, sich von dem Verdachte
zu reinigen, wie dies in Oesterreich (1853) vorge-
sehen war. Diese Bedenken können allein in dem
Verantwortlichkeitsgefühl des Trägers der A.
und seiner verantwortlichen Ratgeber eine Be-
schwichtigung finden. Die Grenzen für die Aus-
übung der A. sind eben — wie Sparez in den
ungedruckten Materialien zum ALR äußert —
„Maximen der Regierungskunst".
Literatur: Heimberger, Das landesherrliche
A.Recht, 1901; Frivyschen, Das landesh. A.Recht, Disf.,
Freiburg 1906; Jastrow, Gerichtssaal 33: Sieben-
baar, Z3 StrW 8 (466); Ortloff, Goltd Arch 45 (220); Joh.
Merkel, Abhandl. aus dem Gebiete des röm. Rechts I, 1881;
die Dissertationen über Begnadigungsrecht von Locb 1881
(Gießen), Elsas 1888 (Straßburg), Adolph 1907 (Jena);
Loband III 19#8; Meyer-Anschütz 1 175 (in Ein-
zelheiten nicht immer genau); Binding, H#= d. Straf-
rechts 1 1885 J 168; v. Bar, Gesetz und Schuld III, 1909
5 203; von den Lehrbüchern des Strafrechts geht auf die
A. näher ein Finger 565; von Kommentaren zur StP
John 1 108, Stenglein 101, Löwe-Hellweg
Anm. zu GV 2. Titel; von Lehrbüchern des Strafprozeß-
rechts v. Kries, 1892 S. 104, Bennecke-Beling
1900 S. 610. — Eine Statistik fehlt. Fleischmann.
Adel
1 1. Begriff, historische Eutwicklung. 5 2. Der Hochadel.
* 3. Der niedere Adel. 1 4. Adelsschutz, Adelskontrolle und
Adelsbehörden.
# 1. Begrif' nud Historische Entwicklung.
A., nach Grimms Wörterbuch ein Vorzug des
Standes und Geschlechts, ist zunächst eine soziolo-
gische Erscheinung, wurzelnd in der Neigung der
Menschen, ein besonderes Ansehen der Väter auf
die Kinder zu übertragen. So entsteht eine be-
sondere soziale Gruppe derer, die auf Grund ihrer
Abstammung höher gewertet werden wie die
Menge der übrigen und die sich von dieser Menge
abzusondern suchen. Erscheinungen wie die vor-
nehmen Klubs der daughters of revolution unb
colonial dames in Amerika (Nachkömmlinge der
Unabhängigkeitskämpfer und ersten Kolonisten),
oder der sogen. four hundrec von New-York, die
auf Grund der besondern wirtschaftlichen Erfolge
ihrer Vorfahren, zu einer besonderen Kaste auf-
gestiegen, beweisen, daß dieser Prozeß der sozia-
len Differenzierung unter allen Verf Formen und
auf allen Kulturstufen wiederkehrt und zwar auch
dort, wo ihm das Recht keinerlei Beachtung
schenkt. In der Vergangenheit hat aber diese ge-
sellschaftliche Erscheinung meist auch in der Rechts-
ordnung ihren Ausdruck gefunden, und da Reste
dieser rechtlichen Vorzüge in die Gegenwart des
deutschen Rechtslebens hineinragen, ist der A.
heute auch noch bei uns ein Rechtsinstitut und der
A. des Einzelnen ist eine gewisse Rechtsbeziehung
eines Staatsbürgers zum Staate. Schon in
der taciteischen Zeit hat es in Deutschland über
der Gemeinfreiheit einen höheren Stand des
A. (nobiles) gegeben. Solchen germanischen Edel-
geschlechtern wurde vielfach sogar göttliche Ab-
kunft beigelegt. Sie waren die tatsächlich herr-
schenden Familien, aus denen regelmäßig Könige,
Fürsten und Priester genommen wurden, anschei-
nend jedoch lediglich eine soziale Gruppe ohne
bestimmte rechtliche Vorzüge. Später finden wir
allerdings in den Volksrechten der meisten Stämme
einen Geburts A., der regelmäßig durch höheres
Wehrgeld und gesteigerte Bußen, hie und da auch
in anderer Beziehung, wie z. B. bei Friesen und
Sachsen, durch erhöhte Glaubwürdigkeit eine recht-
liche Sonderstellung einnimmt. Die Zahl dieser
Geschlechter war jedoch bei den meisten Stämmen
gering, allmählich verschwinden sie ganz, zuerst
bei den Franken, nur bei den Friesen erhält sich
ein auch politisch privilegierter Stand von „Ethe-
lingen“ als „Herren“ oder „Häuptlingen" bis ins
16. Jahrhundert. Die Reste der alten nobilitas
finden Aufnahme in dem nach der Völkerwan-
derung allmählich aufkommenden neuen „Opti-
maten“-A., den die fränkischen Quellen als die
Procercs, primates, primores, principes, opti-
matus, meliores, magnati, maiores natu, senio-
res, potentes bezeichnen. Dieser gründet sich
auf den Königsdienst in der trustis, dem höhe-
ren Hof= oder Staatsdienst. Zu dieser Berufs-
aristokratie gehört regelmäßig auch der höhere
Klerus. Ihr zur Seite gestellt wurde die neu auf-
kommende Schicht der Großgrundbesitzer, der seit
dem Aufkommen des Lehnswesens ja auch regel-
mäßig die Vasallen angehörten. Allmählich er-
wächst aus diesen Schichten wieder ein neuer Ge-
burtsadel: der Herrenstand. Und zwar geht aus
den Häuptern der fränkischen Amtsaristokratie wäh-
rend des Mittelalters der neue Reichsfürstenstand
hervor. Bis zum Jahre 1180 gelten als Reichs-
fürsten (anfänglich noch primates oder primores,
dann mhd. vürsten, md. vorsten ober principes
genannt) nicht nur die Mitglieder der königlichen
Familie, sondern alle Bischöfe, Reichsäbte, der
Probst von Aachen, der Reichskanzler, die Herzöge,
Markgrafen, Landgrafen und Grafen. Nach 1180
wird der Kreis der Fürsten unter lehnrechtlichen