Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Frau (bürgerliche Rechte) 
  
litische Entwicklung vom patriarchalisch-absoluti- 
stischen, auf der ständischen Gesellschaftsgliederung 
basierenden Polizeistaat zum konstitutionellen 
Rechtsstaate auf Grundlage einer bürgerlichen 
Gesellschaftsordnung wieder in Bewegung kam, 
so war es ganz natürlich, daß jetzt auch jene For- 
derung der Gleichberechtigung der F. sich zu einem 
politischen Faktor verdichtete, der von da an nicht 
mehr aus dem öffentlichen Leben verschwindet: 
die Frauenbewegung. Dem Charakter der Zeit 
entsprechend waren es zunächst rein politische 
Ziele, die sich die F. Bewegung steckte: mit der 
Forderung des F. Stimmrechts trat sie in die Er- 
scheinung (Luise Otto). Fast zwei Jahrzehnte später 
trat im Zusammenhange mit der Gründunz des 
Lettevereins für das Wohl der arbeitenden Klassen 
die soziale Fürsorge für die arbeitenden F. 
mit in den Interessenkreis der F. Bewegung. Das 
Organ, das zur Verfolgung dieses Zweckes dienen 
sollte, ist der 1867 gegründete Allgemeine deutsche 
F. Verein, der aber gleich auch einen weiteren. 
Zweck sich zur Aufgabe machte, nämlich den einer 
Erhöhung der F. Bildung, ohne die er wohl 
mit Recht die von ihm angestrebte „Befreiung der 
weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung ent- 
gegenstehenden Hindernissen“ nicht erreichen zu 
können glaubt. Neben diesen sozialethischen und 
ökonomischen Seiten der Frauenbewegung hat 
sich aber auch ihre rein politische Seite weiter ent- 
wickelt und zur Bildung zahlreicher F. Stimm- 
rechtsvereine geführt, die unter sich wieder in 
zwei Gruppen zerfallen, von denen die eine 
(Deutscher Verband für F. Stimmrecht) das all- 
gemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht 
zu allen gesetzgebenden Körperschaften in Staat 
und Gemeinde fordert, die andere hingegen 
(Stimmrechtsverband für Westdeutschland und 
Schlesischer Stimmrechtsverband) unter Ausschal- 
tung der Frage nach dem an sich wünschens- 
werten Wahlsystem das Wahlrecht verlangt unter 
denselben Bedingungen, wie es die Männer haben 
oder haben werden. Eine Aufszählung aller 
oder nur der wichtigsten zum Zwecke der ange- 
gebenen Bestrebungen gegründeten Vereine kann 
nicht die Aufgabe dieser Darstellung sein. Es 
genügt, darauf hinzuweisen, daß heute die F. Be- 
wegung sich auf alle Fragen des öffentlichen Lebens 
und damit auch auf alle Gebiete des öffentlichen 
Rechts erstreckt 1). 
§+# 2. Die bürgerlichen Rechte. Die bürger- 
lichen Rechte stehen der F. grundsätzlich in dem- 
selben Umfang zu, wie dem Manne. Sie hat als 
Staatsangehörige ein Recht auf Aufenthalt im 
Staatsgebiet. Sie hat denselben allgemeinen 
Anspruch auf Unterlassung von gesetzwidrigen 
Eingriffen in ihre Freiheitssphäre. Der mate- 
rielle Inhalt dieses formell gleichen Anspruchs ist 
im wesentlichen ebenfalls demjenigen des Mannes 
gleich. Die persönliche Freiheit der F., die Frei- 
heit ihrer geistigen Bewegung, ihr Hausrecht, die 
Unverletzlichkeit ihres Vermögens sind durch die- 
selben Normen geschützt, die auch gegenüber dem 
1) Einen Einblick, wenn auch nur in das Aeußerliche, 
kann die im Statistischen Amte des Reichs bearbeitete „Sta- 
tistik der Frauenorganisationen im deutschen Reiche“ (1909) 
gebeen. Von Wert auch das „Politische Handbuch für 
Frauen“, herausg. vom „Allg. deutschen Frauenverein“ 
1909. (Herausgeber). 
  
Manne die Grenzen für staatliche Eingriffe bilden. 
Nicht ganz so ist es mit der Freiheit der wirtschaft- 
lichen Bewegung: zwar genießt auch die F. Frei- 
zügigkeit und Gewerbefreiheit (F/ 11, 1la 
GewypO),jedoch ist sie in der Ausübung der Gewerbe- 
freiheit in mancherlei Hinsicht behindert, meist nur 
tatsächlich, zuweilen auch rechtlich. Eine solche, teils 
tatsächliche teils rechtliche Behinderung war es z. B., 
wenn früher die F. auf Grund der Gewerbeord- 
nung zwar zur Ausübung des ärztlichen 
Berufs,, nicht aber zum Staatsexamen zu- 
gelassen wurden süber das jetzige Recht Arzt 
S. 225 ffl. So ist es noch jetzt mit der Advo- 
katur: auf Grund der Gewerbefreiheit kann 
die F. zwar den Beruf eines Rechtskonsulenten 
ausüben oder sich im sog. Rechtsschutz betätigen, 
(was in beträchtlichem Umfange durch den „Rechts- 
schutzverband für Frauen“ geschieht), nicht jedoch 
Rechtsanwalt werden, da sie weder zum ersten 
Staatsexamen noch zu dem die Voraussetzung der 
zweiten Prüfung bildenden vorbereitenden Justiz- 
dienst zugelassen ist. Andrerseits hat sich die F. 
in der gewerblichen Betätigung eines besonderen 
Schutzes zu erfreuen IX Arbeiter, gewerbliche, 
oben S 150, Arbeiterschutz S 171). 
Ist bei den bisher genannten bürgerlichen 
Rechten der F. unserem Rechte die Gleichstellung 
der F. mit dem Manne mehr oder weniger selbst- 
verständlich, so gilt dies nicht mehr von denjenigen 
bürgerlichen Rechten, durch deren Gewährung 
gleichzeitig eine Freiheit politischer Betätigung 
garantiert wird: der Preßfreiheit und 
der Vereins= und Versammlungs- 
freiheit. Diese beiden Freiheitsrechte stehen 
der F. in vielen Staaten noch nicht zu und 
sind ihr auch bei uns erst am letzten gegeben wor- 
den. Im Reichspreßgesetz ist die Gleichstellung 
der F. stillschweigend anerkannt, insbesondere 
ihre Fähigkeit, als verantwortlicher Redakteur zu 
zeichnen dadurch gesichert, daß diese Fähigkeit 
lediglich an Verfügungsfähigkeit und Besitz der 
bürgerlichen Ehrenrechte gebunden ist. Das Ver- 
eins- und Versammlungsrecht endlich ist jetzt auch 
den F. durch das Reichsvereinsgesetz in demselben 
Umfange wie den Männern verliehen worden. 
Wie die F. prinzipiell in gleicher Weise mit 
dem Manne einen Anspruch auf Freiheit von ge- 
setzwidrigen Eingriffen in ihre Individualrechts- 
sphäre hat, so steht ihr auch grundsätzlich in gleicher 
Weise wie jenem ein Anspruch auf staatliche Tätig- 
keit zu, wo dieser im positiven Recht gegeben ist. 
Sie hat denselben Anspruch auf Rechtsschutz aller 
Art und auf Interessenbefriedigung durch die Ver- 
waltung. In ersterer Beziehung ist ihr Anspruch 
materiell wohl auch durchgehends demjenigen des 
Mannes gleich, ihr Anspruch aus Interessen- 
befriedigung durch die Verwaltung auf vielen Ge- 
bieten; sie hat regelmäßig dieselbe Befugnis der 
Benutzung öffentlicher Wohlfahrtseinrichtungen: 
Krankenanstalten, Verkehrsanstalten, Versiche- 
rungsanstalten und dergl. mehr. Auf einem sehr 
wichtigen Gebiet jedoch ist ihre Stellung eine beson- 
dere: auf dem Gebiet des Bildungswe- 
sens. Zwar ist das Volksschulwesen für männ- 
liche und weibliche Jugend wesentlich gleichartig 
gestaltet. Die sog. höheren Schulen jedoch sind 
für Mädchen grundsätzlich anders eingerichtet als 
diejenigen für Knaben, wenn auch neuerdings 
den F. die Möglichkeit einer dem höheren Schul- 
 
	        
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