Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
106 
Gemeinde (IV. Gemeindeverwaltung) 
  
ders auf dem Gebiete der Rechtssetzung, wie be- 
reits erwähnt, und ebenso auf dem der Finanz- 
verwaltung ist noch an der früher allgemein be- 
stehenden Vormundschaft des Staates über die 
Gem festgehalten. Hier können die von den Gem 
ausgehenden Willenserklärungen rechtliche Be- 
deutung erst erlangen, wenn die zuständigen 
Staatsorgane, die dabei im Zweifelsfall nach 
eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden 
haben, ihre Genehmigung erteilen. Aber auch, 
wo die Gem zu ganz selbständigem Handeln be- 
fähigt sind, unterstehen sie, da sie zur Mitarbeit 
an der öffentlichen Verwaltung berufen sind, 
einer ständigen Aufsicht des Staates, die in den 
Fällen, wo die Gemeinden oder einzelne ihrer 
Organe zur Führung von Geschäften herange- 
zogen sind, die der Staat sonst als seine eigenen 
ansieht, derjenigen Aufsichtsgewalt gleichkommt, 
welche die höheren staatlichen Organe gegenüber 
ihren untergebenen staatlichen Amtsstellen aus- 
üben. Hier ist die Staatsbehörde in Wahrheit die 
vorgesetzte Behörde, deren Befehlen die unter- 
geordnete Gem wie jede andere staatliche Unter- 
instanz Folge zu leisten hat. Dies gilt insbesondere 
auch für das Gebiet der Pol Verwaltung (Preu- 
ßeen G v. 11. 3. 50 f 1; V v. 20. 9. 67 5 1: Bayern 
Gem) rechtsrh. a 156, pfälz. GemO a 88; 
Sachsen St O §101; LGO #74; Baden GemO 
54, 180, St O 54, 146; Hessen StO # 55; L6O 
53; Elsaß-Lothringen GemO 1##8 16, 72). Etwas 
freier steht die Gem auf dem Gebiete der Pol Ver- 
waltung nur in Württemberg; aber auch hier 
können die polizeilichen Anordnungen der.Gem 
nicht nur wegen Verstoßes gegen die gesetzmäßige 
Anordnung einer höheren Behörde, sondern auch 
wegen Gefährdung des öffentlichen Wohles oder 
Verletzung der berechtigten Interessen einzelner 
nach Anhörung der Gem Behörde von der Staats- 
verwaltung aufgehoben werden (W. GemO #19#4; 
vgl. ## 195 und 196, die der Gem unter Um- 
ständen ein Klagerecht und den interessierten Pri- 
vaten unter allen Umständen ein Beschwerde- 
recht einräumen). 
Die allgemeine Staatsaufsicht 
über die Gem hinsichtlich der Verwaltung der so- 
genannten eigentlichen Gem Angelegenhei- 
ten wird in den einzelnen deutschen Staaten von 
folgenden Behörden geführt: In Preu- 
ßen über die Städte in erster Instanz vom 
Reg Präsidenten, der sich der Landräte als auf- 
sichtsführender Organe bedienen, ihnen aber keine 
selbständige Aufsichtsführung übertragen kann, in 
höherer und letzter Instanz durch den Ober- 
präsidenten; über die Land Gem in erster Instanz 
vom Landrat als dem Vorsitzenden des Kreisaus- 
schusses, in zweiter und letzter Instanz von dem 
Reg Präsidenten; für Berlin tritt an die Stelle 
des Reg Präsidenten der Oberpräsident und an 
die Stelle des letzteren der Minister des Innern; 
dieser ist auch für die hohenzollernschen Lande 
zuständig. Die vorher genannten Beamten sind 
aber bei einer Reihe von Beschlüssen an die Mit- 
wirkung des Kreisausschusses, des Bezirksaus- 
schusses oder des Provinzialrates gebunden 
(ZustE# 5I5 7 ff, 24 ff; St O Hess. Nass. 9 87: Hohenz. 
GemO # 109 Abs 2). Hinsichtlich der Polizeiver= 
waltung unterstehen die nicht einen eigenen Kreis 
bildenden Städte, vorbehaltlich gewisser für die 
Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern gelten- 
  
den Sonderbestimmungen, zunächst dem Landrat 
(Kr O für die östl. Prov. § 77, Westf. 5 32, Rh. Pr. 
*32, Hess.Nass. # 26, Schl. Holst. 5 69, Hann. 5 27). 
In Bayern unterstehen die sogen. unmittel- 
baren Städte in erster Instanz der Aufsicht der 
Kreisregierung, die übrigen Gem derjenigen der 
Bezirksämter (Gem rechtsrh. a 154, 155, pfälz. 
à 87); in Sachsen ist für die Städte der Kreis- 
hauptmann, für die Land Gem der Amtshaupt- 
mann zuständig, jedoch unter weitgehender Mit- 
wirkung des Kreis= bezw. Bezirksausschusses (StO 
z 132, LGO 8 94); in Württemberg wird 
die Staatsaufsicht unter Oberaufsicht des MinInn 
in den großen und mittleren Städten durch die 
Kreisregierung, in den übrigen Gem zunächst 
durch das Oberamt und in besonderen gesetzlich 
bestimmten Fällen durch den Bezirksrat ausgeübt 
(GemO a 185); die gemeindliche Pol Verwaltung 
untersteht im Zweifelsfalle der Aufsicht des Ober- 
amtes, in Stuttgart der Stadtdirektion (Gem-O 
à 194 Abs 1). In Baden liegt die Führung der 
Aufsicht über die Gem beim Bezirksamt, das in 
allen wichtigen Fällen den Bezirksrat zuziehen 
muß; außerdem hat sich als Beauftragter des 
Min Inn auch der Landeskommissär mit der Be- 
aussichtigung der Gem zu befassen (Verw v. 
5. 10. 63 53§6, 22; V v. 12.7. 64 (6). In Hessen 
ist das Kreisamt zuständig unter Mitwirkung des 
Kreisausschusses (StO a 117f, LGO a 92f., 
Kr O a 77), in Elsaß-Lothringen endlich 
in den Gem von 25 000 und mehr Einwohnern 
sowie in den ihnen gleichgestellten Gem der Be- 
zirkspräsident, in den übrigen der Kreisdirektor 
(GemO 1## 71fffh. 
Inhalt der Staatsaufsicht. Die 
Aufsicht des Staates erstreckt sich über die gesamte 
Verwlätigkeit der Gem; die Staatsbehörden 
haben deshalb das Recht, sich von der ganzen Tä- 
tigkeit der Gem Kenntnis zu verschaffen, sei es 
durch Einfordern von Auskünften oder durch 
Aktenerhebung, sei es durch unmittelbare Ein- 
sichtnahme (Ortsbereisungen). Das bereits er- 
wähnte Genehmigungsrecht gegenüber 
einzelnen Handlungen der Gem greift in einigen 
Ländern insbesondere auch bezüglich der Aufstel- 
lung des Voranschlages und der Verbescheidung 
der Rechnungen Platz, so in Bayern bezügl. der 
Gem, die nicht zu den unmittelbaren Städten ge- 
hören (bayr. Gem) rechtsrh. a 136, pfälz. a 69; 
in Baden bezügl. aller Gem unter 4000 Ein- 
wohnern (Gem-O s§# 165, 182, St O # 158), in 
Elsaß-Lothringen bezügl. aller Gem unter 25 000 
Einwohner, während in Hessen die Aufsichtsbe- 
hörde allgemein die Voranschläge genehmigt, und 
die Rechnung von der Oberrechnungskammer ge- 
prüft wird. (LO a 71, 72, 77, St O a 83, 89). 
In Württemberg, wie auch in den badischen Gem 
mit 4000 und mehr Einwohnern ist der Voran- 
schlag vor seinem Vollzug der Aufsichtsbehörde 
vorzulegen, die innerhalb einer bestimmten Frist 
ihr Aufsichtsrecht geltend machen und eventuell 
den Vollzug aufhalten kann; ebenso ist die Rech- 
nung nach Abhör durch die Gem Kollegien der 
Staatsbehörde einzusenden (W. GemO a #15, 
137; Bad. Gem O §§ 165, 183, St O #§ 159). Auch 
in den norddeutschen Gem wird die Ausstellung 
des Voranschlags unter Umständen zu einem 
genehmigungspflichtigen Akt, so in Preußen all- 
gemein, wenn die Gem Zuschläge zur Einkommen- 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.