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Gesetz
aufeinander folgen: Initiative, Feststellung des Ge-
setzesinhalts, Sanktion, Ausfertigung, Publikation.
1. Der das Verfahren eröffnende Akt der Ini-
tiative oder des Gesetzesvorschlags
konnte nach den älteren deutschen Verfassungen
(Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden) ur-
sprünglich nur von der Krone, nicht von der Volks-
vertretung ausgehen, erst später ist hier der letzteren
das Initiativrecht beigelegt worden, während in
Preußen dieses Recht dem Landtage von vorn-
herein durch die V in Gleichberechtigung mit
dem Könige zugestanden worden ist (preuß. VU
a 64). In den Staaten mit Zweikammersystem
kann die Krone ihre Gesetzvorlagen nach Belieben
bei jeder der beiden Kammern oder auch bei bei-
den zugleich einbringen, nur Finanzgesetzentwürfe
einschließlich des Budgets (Etats) müssen zuerst
der zweiten Kammer vorgelegt werden (vgl. z. B.
preuß. VU à 62 Abs 3). Im Prozeß der Reichs-
gesetzgebung steht die Initiative nach den Vor-
schriften der RV (a 7 Nr. 1, 23) sowohl dem
Bundesrate als dem Reichstage, nach einem, in
der Wissenschaft vielfach bestrittenen, in der Praxis
aber anerkannten, Gewohnheitsrecht auch dem
Kaiser, letzterem aber nur dem Bundesrate, nicht
aber (wegen RKV. a 7 Nr. 1 und a 16) dem
Reichstage gegenüber zu. Landesgesetze für Elsaß-
Lothringen (d. h. Gesetze, welche nur für das
Reichsland Geltung haben und sich auf Gegen-
stände beziehen, deren Regelung im übrigen
Reichsgebiet Landesangelegenheit ist) können auf
Initiative des Kaisers wie des Landesausschusses
(dem das Initiativrecht durch das R betr. die
Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens
v. 4. 7. 79, &21, beigelegt ist) zustande komment).
2. Die Feststellung des Inhalts
des zu erlassenden Gesetzes ge-
schicht durch Vereinbarung zwischen Krone und
Landtag bezw. Bundesrat und Reichstag. Der
Kaiser wirkt in diesem Stadium des Reichsgesetz-
gebungsverfahrens nicht mit, während bei der
Feststellung des Inhalts der elsaß-lothringischen
Landesgesetze, die durch Kaiser und Landesaus-
schuß erfolgt, umgekehrt der Bundesrat ausge-
schlossen ist (dessen, nach § 1 des R betr. die
Landesgesetzggebung von Elsaß-Lothringen v. 2.
5. 77 erforderliche „Zustimmung“ lediglich als
Vorbedingung der Sanktion des Gesetzes durch
den Kaiser erscheint). Für die Beratung und
Verabschiedung der Gesetzvorlagen in den Volks-
vertretungen sind deren Geschäftsordnungen maß-
gebend, soweit nicht die Verfassung ausdrückliche
Formvorschriften hierüber enthält. Letzteres ist
der Fall insbesondere betreffs der verfassung-
ändernden Gesetze, deren Annahme im Parla-
ment meistens (nicht im Reiche) an erschwerende
Bedingungen geknüpft ist (so verlangt die preuß.
Vua 107 in beiden Häusern des Landtags zwei
Abstimmungen, zwischen denen ein Zeitraum von
wenigstens 21 Tagen liegen muß, sic begnügt sich
aber mit der einfachen Majorität, während in
Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden 23-Mehr-
heit, überall, außer in Württemberg, bei Anwesen-
heit von 3 der Kammermitglieder, fordern).
Vgl. Wiese, Verfassungsänderungen nach Reichs-
1) Das Verfassungsgesetz v. 31. 5.
berücksschtigt. 1 Elsaß. Lothringen.
* Landtag.
1911 ist noch nicht
Ueber Finanzgesetze
D. H. 1
recht 1906, v. Rauchhaupt, Verfassungsänderun-
gen nach Landesstaatsrecht 1908.
3. Der zwischen Regierung und Volksvertretung
vereinbarte und insoweit festgestellte Gesetzes-
inhalt bedarf, um Gesetz zu werden, zunächst der
Sanktion. Dieser, den Gesetzentwurf zum
Gesetz erhebende, ihn mit Gesetzeskraft ausstattende
staatsrechtliche Akt ist nach Landesrecht Sache des
Monarchen, im ordentlichen Verfahren der Reichs-
gesetgebung Sache des Bundesrates (RV. a 7
r. 1; die Sanktionsbeschlüsse des Bundesrates
können bei Aenderungen der R nach a 78
Abs 1 R nicht gegen 14 widersprechende Stim-
men, in den Fällen des a 5 Abs 2, 78 Abf 2 nicht
gegen das Veto Preußens bezw. der reservat-
berechtigten Staaten gefaßt werden), im Ver-
fahren der elsaß-lothringischen Landesgesctzgebung
des Kaisers, welcher aber vor Erteilung der Sank-
tion die Zustimmung des Bundesrates einzu-
holen hat (s. oben). Die Sanktion kann dem Ge-
setzentwurf nur ganz oder garnicht, nicht aber teil-
oder bedingungsweise erteilt werden. Sie kann
— und zwar, soweit Verfassung oder Gesetz nicht
ausdrücklich ein anderes bestimmen (vgl. kayer.
Güber den Geschäftsgang des Landtags v. 19. 1.
1872 a 40) unbeschränkt — aufgeschoben werden.
Die Sanktion vollzieht sich nach Landesstaats-
recht durch Unterzeichnung der Gesetzesurkunde
seitens des Monarchen unter ministerieller Gegen-
zeichnung. Sie schließt zugleich in sich die Aus-
fertigung der Gesetzesurkunde, d. h. die Er-
klärung, daß das Gesetz, so wie es in der Urkunde
steht, authentisch, echt und verfassungsmäßig zu-
stande gekommen ist. Im Verfahren der Reichs-
gesetzgebung treten dagegen Sanktion und Aus-
fertigung als zwei auch äußerlich getrennte Akte
auseinander. Das durch Beschluß des Bundesrates
(RVa! Nr. 1) sanktionierte Reichsgesetz gelangt.
4. zur Ausfertigung gemäß a 17 RV an
den Kaiser. Ausfertigen heißt beurkunden.
Gegenstand der Beurkundung ist auch hier, wie
bei den Landesgesetzen, die Authentizität des Ge-
setzestextes und die Legalität des Gesetzgebungs-
verfahrens. Der Kaiser hat, unter Verantwort-
lichkeit des Reichskanzlers, zu prüfen, ob der Text
echt und das Verfahren fehlerfrei ist. Ergeben sich
Bedenken, so ist, bis zu deren Behebung, die Aus-
fertigung zu verweigern, andernfalls ist sie zu
erteilen (insowcit Pflicht des Kaisers zur Aus-
fertigung). In der Ausfertigung licgt zugleich, nach
Landes= und Reichsstaatsrecht, der Befehl zur Vor-
nahme der Verkündigung'Publikation) des Gesetzes.
Ueber das Wesen der Ausfertigung nach und gegen
Laband: Fleischmann, Weg der Gesetzgebung 68 ff.
5. Die Publikation bildet den Schluß-
akt des Verfahrens. Ob sie, beim Fehlen aus-
drücklicher Bestimmung, an eine Frist gebunden
sei, ist, wie auch für die Sanktion, bestritten
(vgl. Jesuitengesetz). Läßt die Sanktion das Ge-
setz, die Ausfertigung die Gesetzesurkunde ent-
stehen, so bewirkt erst die Verkündigung die Ver-
bindlichkeit des Gesetzes für jeden, an den es
sich richtet. Die Publikation geschicht durch Ab-
druck der Gesetzesurkunde in dem verfassungs-
oder gesetzmäßig hierzu bestimmten amtlichen
Organ (Gesetzblatt (71, Gesetzsammlung usw.).
Dieser Abdruck hat die Eigenschaft der Authen-
tizität: der publizierte Gesetzestext gilt für jeden,
den er angeßt, Behörden und Privatpersonen mit