Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
216 
Gesetz 
  
aufeinander folgen: Initiative, Feststellung des Ge- 
setzesinhalts, Sanktion, Ausfertigung, Publikation. 
1. Der das Verfahren eröffnende Akt der Ini- 
tiative oder des Gesetzesvorschlags 
konnte nach den älteren deutschen Verfassungen 
(Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden) ur- 
sprünglich nur von der Krone, nicht von der Volks- 
vertretung ausgehen, erst später ist hier der letzteren 
das Initiativrecht beigelegt worden, während in 
Preußen dieses Recht dem Landtage von vorn- 
herein durch die V in Gleichberechtigung mit 
dem Könige zugestanden worden ist (preuß. VU 
a 64). In den Staaten mit Zweikammersystem 
kann die Krone ihre Gesetzvorlagen nach Belieben 
bei jeder der beiden Kammern oder auch bei bei- 
den zugleich einbringen, nur Finanzgesetzentwürfe 
einschließlich des Budgets (Etats) müssen zuerst 
der zweiten Kammer vorgelegt werden (vgl. z. B. 
preuß. VU à 62 Abs 3). Im Prozeß der Reichs- 
gesetzgebung steht die Initiative nach den Vor- 
schriften der RV (a 7 Nr. 1, 23) sowohl dem 
Bundesrate als dem Reichstage, nach einem, in 
der Wissenschaft vielfach bestrittenen, in der Praxis 
aber anerkannten, Gewohnheitsrecht auch dem 
Kaiser, letzterem aber nur dem Bundesrate, nicht 
aber (wegen RKV. a 7 Nr. 1 und a 16) dem 
Reichstage gegenüber zu. Landesgesetze für Elsaß- 
Lothringen (d. h. Gesetze, welche nur für das 
Reichsland Geltung haben und sich auf Gegen- 
stände beziehen, deren Regelung im übrigen 
Reichsgebiet Landesangelegenheit ist) können auf 
Initiative des Kaisers wie des Landesausschusses 
(dem das Initiativrecht durch das R betr. die 
Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens 
v. 4. 7. 79, &21, beigelegt ist) zustande komment). 
2. Die Feststellung des Inhalts 
des zu erlassenden Gesetzes ge- 
schicht durch Vereinbarung zwischen Krone und 
Landtag bezw. Bundesrat und Reichstag. Der 
Kaiser wirkt in diesem Stadium des Reichsgesetz- 
gebungsverfahrens nicht mit, während bei der 
Feststellung des Inhalts der elsaß-lothringischen 
Landesgesetze, die durch Kaiser und Landesaus- 
schuß erfolgt, umgekehrt der Bundesrat ausge- 
schlossen ist (dessen, nach § 1 des R betr. die 
Landesgesetzggebung von Elsaß-Lothringen v. 2. 
5. 77 erforderliche „Zustimmung“ lediglich als 
Vorbedingung der Sanktion des Gesetzes durch 
den Kaiser erscheint). Für die Beratung und 
Verabschiedung der Gesetzvorlagen in den Volks- 
vertretungen sind deren Geschäftsordnungen maß- 
gebend, soweit nicht die Verfassung ausdrückliche 
Formvorschriften hierüber enthält. Letzteres ist 
der Fall insbesondere betreffs der verfassung- 
ändernden Gesetze, deren Annahme im Parla- 
ment meistens (nicht im Reiche) an erschwerende 
Bedingungen geknüpft ist (so verlangt die preuß. 
Vua 107 in beiden Häusern des Landtags zwei 
Abstimmungen, zwischen denen ein Zeitraum von 
wenigstens 21 Tagen liegen muß, sic begnügt sich 
aber mit der einfachen Majorität, während in 
Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden 23-Mehr- 
heit, überall, außer in Württemberg, bei Anwesen- 
heit von 3 der Kammermitglieder, fordern). 
Vgl. Wiese, Verfassungsänderungen nach Reichs- 
1) Das Verfassungsgesetz v. 31. 5. 
berücksschtigt. 1 Elsaß. Lothringen. 
* Landtag. 
  
1911 ist noch nicht 
Ueber Finanzgesetze 
D. H. 1 
  
recht 1906, v. Rauchhaupt, Verfassungsänderun- 
gen nach Landesstaatsrecht 1908. 
3. Der zwischen Regierung und Volksvertretung 
vereinbarte und insoweit festgestellte Gesetzes- 
inhalt bedarf, um Gesetz zu werden, zunächst der 
Sanktion. Dieser, den Gesetzentwurf zum 
Gesetz erhebende, ihn mit Gesetzeskraft ausstattende 
staatsrechtliche Akt ist nach Landesrecht Sache des 
Monarchen, im ordentlichen Verfahren der Reichs- 
gesetgebung Sache des Bundesrates (RV. a 7 
r. 1; die Sanktionsbeschlüsse des Bundesrates 
können bei Aenderungen der R nach a 78 
Abs 1 R nicht gegen 14 widersprechende Stim- 
men, in den Fällen des a 5 Abs 2, 78 Abf 2 nicht 
gegen das Veto Preußens bezw. der reservat- 
berechtigten Staaten gefaßt werden), im Ver- 
fahren der elsaß-lothringischen Landesgesctzgebung 
des Kaisers, welcher aber vor Erteilung der Sank- 
tion die Zustimmung des Bundesrates einzu- 
holen hat (s. oben). Die Sanktion kann dem Ge- 
setzentwurf nur ganz oder garnicht, nicht aber teil- 
oder bedingungsweise erteilt werden. Sie kann 
— und zwar, soweit Verfassung oder Gesetz nicht 
ausdrücklich ein anderes bestimmen (vgl. kayer. 
Güber den Geschäftsgang des Landtags v. 19. 1. 
1872 a 40) unbeschränkt — aufgeschoben werden. 
Die Sanktion vollzieht sich nach Landesstaats- 
recht durch Unterzeichnung der Gesetzesurkunde 
seitens des Monarchen unter ministerieller Gegen- 
zeichnung. Sie schließt zugleich in sich die Aus- 
fertigung der Gesetzesurkunde, d. h. die Er- 
klärung, daß das Gesetz, so wie es in der Urkunde 
steht, authentisch, echt und verfassungsmäßig zu- 
stande gekommen ist. Im Verfahren der Reichs- 
gesetzgebung treten dagegen Sanktion und Aus- 
fertigung als zwei auch äußerlich getrennte Akte 
auseinander. Das durch Beschluß des Bundesrates 
(RVa! Nr. 1) sanktionierte Reichsgesetz gelangt. 
4. zur Ausfertigung gemäß a 17 RV an 
den Kaiser. Ausfertigen heißt beurkunden. 
Gegenstand der Beurkundung ist auch hier, wie 
bei den Landesgesetzen, die Authentizität des Ge- 
setzestextes und die Legalität des Gesetzgebungs- 
verfahrens. Der Kaiser hat, unter Verantwort- 
lichkeit des Reichskanzlers, zu prüfen, ob der Text 
echt und das Verfahren fehlerfrei ist. Ergeben sich 
Bedenken, so ist, bis zu deren Behebung, die Aus- 
fertigung zu verweigern, andernfalls ist sie zu 
erteilen (insowcit Pflicht des Kaisers zur Aus- 
fertigung). In der Ausfertigung licgt zugleich, nach 
Landes= und Reichsstaatsrecht, der Befehl zur Vor- 
nahme der Verkündigung'Publikation) des Gesetzes. 
Ueber das Wesen der Ausfertigung nach und gegen 
Laband: Fleischmann, Weg der Gesetzgebung 68 ff. 
5. Die Publikation bildet den Schluß- 
akt des Verfahrens. Ob sie, beim Fehlen aus- 
drücklicher Bestimmung, an eine Frist gebunden 
sei, ist, wie auch für die Sanktion, bestritten 
(vgl. Jesuitengesetz). Läßt die Sanktion das Ge- 
setz, die Ausfertigung die Gesetzesurkunde ent- 
stehen, so bewirkt erst die Verkündigung die Ver- 
bindlichkeit des Gesetzes für jeden, an den es 
sich richtet. Die Publikation geschicht durch Ab- 
druck der Gesetzesurkunde in dem verfassungs- 
oder gesetzmäßig hierzu bestimmten amtlichen 
Organ (Gesetzblatt (71, Gesetzsammlung usw.). 
Dieser Abdruck hat die Eigenschaft der Authen- 
tizität: der publizierte Gesetzestext gilt für jeden, 
den er angeßt, Behörden und Privatpersonen mit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.