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militärischen Ehrenbezeugung vor dem Sanctissi-
mum), aber auch zur Leistung von Ab-
gaben für die religiösen Zwecke
einer anderen Religionspartei
(soweit nicht gewisse kirchliche Lasten, wie die
Baulast, den Charakter der Reallasten angenom-
men haben I/ Kirchenbaulast, Kirchliche Ab-
gaben)).
2. Insbesondere befreit die moderne Perso-
nenstandsgesetzgebung von jedem mit
der Beurkundung des Personenstandes oder der
Eheschlichung verbundenen Zwang zu religiösen
Handlungen (RG v. 6. 2. 75). In der Konsequenz
dieser Gesetzgebung liegt die Beseitigung alles
konfessionellen Eherechts, wie sie durch das BGB
endgültig füridas Reichsgebiet vollzogen ist.
3. Im Begräbniswesen sichert der
Staat die Möglichkeit eines von der Konfession
unabhängigen Begräbnisses, wo ein solches nicht
durch den kommunalen Charakter der Friedhöfe
gewährleistet ist, durch die Verpflichtung der kirch-
lichen Friedhofseigentümer, im Notfall fremde
Leichen aufzunehmen IX Bestattungswesen 8 21.
4. Im Schulwesen vermeidet der Staat
möglichst den Zwang, Kinder in die Schule einer
anderen Konfession zu schicken, insbesondere an
dem Religionsunterricht einer solchen teilnehmen
u lassen. Wo die Schulen Konfessionsschulen
fino, ist die Freiheit, die Kinder von der Konfes-
sionsschule oder mindestens von dem Religions-
unterricht fernzuhalten, dadurch bedingt, daß die
Eltern in anderer Weise für die Erteilung des
allgemeinen bezw. des Religionsunterrichts Sorge
tragen [J Volksschule, Religionsunterricht!). Im
allgemeinen handelt es sich hier aber lediglich um
die Darbictung obligatorischen Lehrstoffs, nicht so
sehr um Zwang zu einer religiösen Betätigung.
5. Der Staat gewährleistet dem Einzelnen in-
sofern seine religiöse Freiheit, als er ihm ermög-
licht, aus seiner bisherigen Reli-
gionsgesellschaft mit bürgerli-
cher Wirkung auszuscheiden, ohne
Rücksicht darauf, ob deren inneres Recht diese
Möglichkeit vorsieht, und ohne den Zwang, sich
einer anderen wieder anzuschlicßen (letzteres nicht
überall unbestritten, Meyer-Anschütz 811 Anm. 15).
Mit dem Austritt oder doch mit einem bestimm-
ten darauf folgenden Zeitpunkt (nach dem preuß.
Gv. 14. 5. 73 betr. den Austritt aus der Kirche
§ 3z. B. Fortdauer der Verpflichtung zu vermö-
genswerten Leistungen bis zum Schlusse des auf
die Austrittserklärung folgenden bezw. zweit-
solgenden Kalenderjahrs) hören die Wirkungen
der Zugehörigkeit jedenfalls für das weltliche
Rechtsgebiet auf (Arthur B. Schmidt, Der Aus-
tritt aus der Kirche, 1893, Darstellung und Quellen
für alle deutschen Staaten; dazu Friedberg KR'
292 f). Diese religiöse Selbstbestimmung besteht
von der Erreichung eines staatsgesetzlich verschie-
den bestimmten Alters (Diskretionsjahr) ab;
bis dahin ist das landesrechtlich sehr verschieden
gestaltete elterliche Bestimmungsrecht maßgebend
IX Religiöse Kindererziehungl.
6. Die entschiedenste Ausnahme vom Prinzip
der Freiheit von religiösem Zwang liegt in der
staatlichen Eidcespflicht, auch sofern
der staatliche Eid neuerdings interkonfessionell
gefaßt ist. Von diesem Zwang kann allerdings das
Gewissensfreiheit
Landesrecht nach den Reichsjustizgesetzen (GVG
*51, 8O 484, StO d5# 64, 288) bezüglich
der Angehörigen bestimmter Religionsgesellschaf-
ten zugunsten gewisser anderer Beteuerungs-
formeln eine Ausnahme machen (Hubrich, Kon-
jollionelI Eid oder religionslose Beteuerung?
#4k. Die Gewissens= und Religionsfreiheit in
den deutschen Schutzgebieten. Das Schutzgeb G
14 gewährt die GF. nur in beschränktem Maße:
„Den Angehörigen der im Deutschen Reiche an-
erkannten Religionsgemeinschaften werden in den
Schutzgebieten GF. und religiöse Duldung ge-
währleistet. Die freie und öffentliche Ausübung
dieser Kulte, das Recht der Erbauung gottesdienst-
licher Gebäude, und die Einrichtung von Missio-
nen I/I der bezeichneten Religionsgemcinschaften
unterliegen keinerlei gesetzlicher Beschränkung noch
Hinderung". Soweit die Schutzgebiete zugleich
in den Bereich der Kongoakte fallen, steht der § 14
mit a 6 Abs 3 der letzteren in Widerspruch, die
Religions-- und GF. ohne Beschränkung auf be-
stimmte Religionsgemeinschaften vorsicht (Jacobi,
Z f. Kirch R 14, 373, Fleischmann, Völkerrechts-
quellen 199 Anm 9, Freytag, Z. f. Kol Politik 10).
#5. Verhältnis der Gewissens= und Reli-
gionsfreiheit zur staatlichen Ordunng. Das
staatliche Recht gewährleistet einerseits die Frei-
heit der religiösen Sphäre. Anderseits aber hat
es die Berührungen dieser an sich gewährleisteten
Gewissens= und Religionsfreiheit mit dem Gebiet
der weltlichen Ordnung zu regeln. Es weist den
Individuen und Gemeinschaften, die von der
Gewissens= und Religionsfreiheit Gebrauch ma-
chen, als solchen eine bestimmte allgemeine
rechtliche Stellung an, und es hat ferner Stellung
zu nehmen zu einzelnen Konflikten, die zwi-
schen der Ausübung dieser Freiheiten und der
staatlichen Ordnung eintreten können.
1. Den Individuen dürfen aus der Tat-
sache ihres Glaubens oder auch ihres Mangels an
jedem Glauben nicht irgendwelche Nachteile auf
dem Gebiet der weltlichen Rechtsordnung erwach-
sen. Dieser Grundsatz ist als das Ergebnis einer in
der Hauptsache erst im 19. Jahrhundert vollzo-
genen Entwicklung für das Reich (mit Ausnahme
von Elsaß-Lothringen, wo schon in französischer
Zeit dasselbe galt) festgestellt durch das Bundes G
v. 3. 7. 69 betr. die Gleichberechtigung der Kon-
sessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher
Hinsicht (dessen Geltungsbereich — ob auch für
Ausländer — bestritten ist: Meyer-Anschütz 811,
anders R# St 13, 208; Rönne-Zorn II 19, 179).
2. Im Gegensatz dazu sind die Betätigungs-
formen der Religionsfreiheit, die religiösen
Vereine und Versammlungen, nicht
sämtlich auf gleichem Fuß behandelt. Die vom
RVereins G v. 19. 4. 08 5P§ 24 aufrechterhaltenen
Vorschriften des Landesrechts über kirchliche und
religiöse Vereine und Versammlungen enthalten
zahlreiche privilegia odiosa für diese im Gegensatz
zu weltlichen Vereinen und Versammlungen,
Beschränkung der öffentlichen Religionsübung auf
einzelne Religionsgesellschaften, Erschwerung der
Bildung von Religionsgesellschaften oder des Er-
werbs der Korporationsrechte durch diese (Bei-
spiele oben § 2). Auch innerhalb der Religions-
gesellschaften differenzieren die deutschen Staa-