Geheimmittel 27
zu sein, in einer Weise angekündigt werden, die
ihre Bestandteile und Zusammensetzung nicht er-
kennen läßt. Diese Begriffsbestimmung deckt sich
fast genau mit den seitens der Verwehörden
gegebenen Definitionen (z. B. preuß. Min E v.
14. 2. 95, der zur Erläuterung des BRBeschl v.
18. 11. 92 über die steuerfreie Verwendung von
nicht denaturiertem Spiritus zu heilwissenschaft-
lichen usw. Zwecken ergangen ist). Ebenso war
man bei den Beratungen im Reichsgesundheits-
amt und Bundesrat über eine reichsgesetzliche Re-
gelung des G.Wesens darüber einig, daß Mittel,
die in der medizinischen Wissenschaft und Praxis
als Heilmittel allgemeine Anerkennung gefunden
haben, ebenso wenig den G. zuzuweisen sind wie
solche, die lediglich als Desinfektionsmittel, kos-
metische Mittel, Nahrungs= und Genußmittel oder
Kräftigungsmittel angeboten werden.
Die G. fallen mit ganz geringen Ausnahmen
unter die Arzneimittel im Sinne des §& 6 Abs 2
GewoO und der Kaiserl. V v. 22. 10. 01 (s. oben
Arzneimittel 1 221), da sie in der Regel Arznei-
Zubereitungen darstellen, deren Feilhalten und
Verkauf den Apotheken vorbehalten ist. Anders
licgen die Verhältnisse betreffs der „RKeklame-
mittel“, unter denen man nicht bloß Arznei-
mittel, sondern auch sonstige zur Verhütung, Lin-
derung oder Heilung von Menschen= oder Tier-
krankheiten bestimmte Gegenstände, Vorrichtungen
oder Verfahren versteht, denen in den Ankündi-
gungen über ihren wahren Wert hinausgehende
Wirkungen beigelegt werden, wodurch das Publi-
kum irregeführt wird. Bei den Reklamemitteln
handelt es sich also auch um mancherlei Mittel,
Gegenstände usw., auf welche die obengenannten
Bestimmungen über den Verkehr mit Arznei-
mitteln keine Anwendung finden; maßgebend
für sie ist lediglich die Art ihrer auf
Täuschung und Ausbeutung des
Publikums abzielenden Anprei-
sung. Daraus ergibt sich, daß ein G. gleich-
zeitig unter den Begriff „Reklamemittel“ fällt,
wenn es in solcher Weise angekündigt wird, was
tatsächlich bei den meisten der Fall ist. Deshalb ist
es zweckmäßig, G. und Reklamemittel mehr oder
weniger den gleichen gesundheitspolizeilichen
Vorschriften zu unterwerfen, wie dies mit Recht
in dem 1910 dem Reichstage vorgelegten Gesetz-
entwurf über die Mißstände im Heilgewerbe ge-
schehen ist. Hier hat man überhaupt von der
Festlegung des Begriffs „Geheimmittel“ Abstand
genommen, weil dieser insofern seine ursprüng-
liche Bedeutung verloren hat, als die Geheimhal-
tung der Bestandteile eines Mittels seitens des
Herstellers nicht mehr als unbedingte Voraus-
setzung dafür gelten kann; die G. Fabrikanten
würden sich sonst der Anwendung der geltenden
Vorschriften entziehen, wenn sie die Zusammen-
setzung ihrer Fabrikate in irgend einer Formel
öffentlich bekannt geben. Tatsächlich geschieht
dies bereits vielfach; ob aber diese Angaben zu-
treffend sind, läßt sich bei vielen Gemengen oder
Gemischen oft selbst mit Hilfe zeitraubender
Untersuchungen mit Sicherheit nicht entscheiden,
ganz abgesehen davon, daß auch absichtlich falsche
Angaben über die einzelnen Bestandteile und
deren Mengen gemacht werden.
+ 2. Schäden des Geheim= und Reklame-
mittelunwesens; Notwendigkeit seiner Be-
—.—.-..——
kämpfung. Das G.Wesen at schwere wirtschaft-
liche und gesundheitliche Nachteile im Gefolge:
In wirtschaftlicher Hinsicht kommt be-
sonders in Betracht, daß alljährlich eine große
Summe Geldes für meist wertlose Zubereitungen,
denen fälschlicherweise geheimnisvolle Wirkungen
beigelegt werden, vergeudet wird; soll doch nach
der Begründung des im & 1 Abs 2 erwähnten
Gesetzentwurfes der Umsatz von G. und Spezia-
litäten in Deutschland im Jahre 1898/99 30 Mil-
lionen Mark betragen haben. Dazu kommt, daß
ein erheblicher Teil dieser Summe ins Ausland
wandert; denn nicht weniger als 50 000 kg G.
werden alljährlich ins Deutsche Reich einge führt,
woraus allerdings dem Reiche etwa ¼ Million
Mark Zoll zufließen. Noch schwerwiegender sind
aber die gesundheitlichen Schädi-
ungen. Wenn auch manche G. nur aus un-
schädlichen Stoffen bestehen, so enthalten sie doch
meist scharfwirkende, durch deren Gebrauch die
Gesundheit in hohem Grade gefährdet wird.
Von 75 durch den Karlsruher Ortsgesundheits-
rat untersuchten derartigen Mitteln wurden nicht
weniger als 48 = 6400 als unmittelbar lebens-
gefährlich und 11 = 1800 als gefährlich in der
Hand des Laien befunden. Gesundheitsstörun-
gen sind um so leichter zu befürchten, als be-
kanntlich der Gebrauch von G. in der Regel
ohne Wissen und Kontrolle eines Arztes erfolgt.
Der größte Nachteil in gesundheitlicher Hinsicht
liegt aber darin, daß die Kranken durch den
Gebrauch der prahlerisch angekündigten und
fälschlicherweise bei den verschiedensten Krank-
heiten als „immer und sicher wirksam“" bezeich-
neten Mittel von der rechtzeitigen Inanspruch-
nahme ärztlicher Hilfe abgehalten werden und
diese infolgedessen oft erst dann nachsuchen, wenn
die Aussicht auf Genesung wesentlich verringert
oder womöglich ganz verschwunden ist. Und was
hier von den G. gesagt ist, das gilt auch mehr
oder weniger von den Reklamemitteln.
Die Notwendigkeit einer Bekämpfung
dieser offenkundigen Schädigung des Volkswohls
ist in den beteiligten Kreisen allgemein anerkannt;
bei dem großen Hang zum Mystizismus und
Aberglauben, der leider noch immer in den brei-
testen Volkskreisen, ohne Unterschied ob arm oder
reich, ob gebildet oder ungebildet, herrscht und den
Gebrauch von G. außerordentlich begünstigt, ist
dieser Kampf aber kein leichter. Gerade mit Rück-
sicht auf diesen in der menschlichen Natur liegen-
den Hang zu allem Unbegreiflichen und Ueber-
natürlichen darf man sich von entsprechenden Be-
lehrungen und Warnungen nicht all-
zuviel versprechen. Auf mehr Erfolg ist zu
rechnen, wenn nicht bloß Acrzte, Zahnärzte und
Tierärzte, sondern auch sonstige Heilpersonen
(Hebammen, Krankenpfleger, Heildiener, Desin-
fektoren usw.) es unterlassen, Empfehlun-
gen für derartige Mittel auszustellen. Leider
wird aber in dieser Hinsicht noch sohr viel gesün-
digt, wenn auch z. B. die Ausstellung solcher
Empfehlungen seitens der Aerzte als standes-
unwürdig angesehen und demgemäß chrenge-
richtlich geahndet werden kann. Auch die Ver-
ordnung der G. und Reklamemittel in der ärzt-
lichen usw. Praxis muß tunlichst vermieden werden,
da sie ihrem Gebrauche nur Vorschub leistet. Der
Schwerpunkt ist jedoch auf das Verbot der öf-