2. Beide K haben Gesetzesinitiative,
und zwar in gleichem Umfange. Nicht dagegen
muß die Regierung ihr Anregungsrecht ihnen
gegenüber gleichmäßig ausüben. Die K können
weder verlangen, daß die Vorlagen ihnen gleich-
zeitig noch daß sie ihnen gleichmäßig zugehen.
Uebereinstimmung von drei Faktoren, wovon zwei
aus Dutzenden von Mitgliedern bestehen, ist
schwierig. Daher ist davon auszugehen, daß die
Regierung möglichst freie Hand haben soll. Nur
ganz sichere Vorlagen werden beiden K gleich-
zeitig vorgelegt, nur unpolitische zuerst dem Herren-
hause. Alles sonstige geht in erster Reihe an das
Unterhaus. I(J Gesetz, 215.)
Eine weitere Schranke folgt aus dem Wesen
des Initiativrechtes. Wohl gilt eine Vorlage, die
bei einer K eingebracht ist, als dem ganzen L.
vorgelegt, da das P, was zustimmungsbedürftige
Angelegenheiten betrifft, als Einheit gilt. Aber
daraus folgt nicht, die andere K dürfe fordern,
daß ihr die Vorlage nach der ersten ebenfalls zu-
komme. Dann könnte die Vorlage erst zurückge-
zogen werden, wenn sie auch an die 2. K ge-
langte. Das würde eine so wesentliche Beschrän-
kung der Zurückziehbarkeit und damit der freien
Ausübung des Anregungsrechtes darstellen, daß
sie ausdrücklich bestimmt sein müßte. So bedeutet
die Einheit eben: die Regierung braucht die Vor-
lage der anderen K nicht besonders vorzulegen;
sie geht von selbst hinüber.
3. Keine K kann durch den Fürsten und die
andere überstimmt werden.
4. Im parlamentarisch regierten Staate haben
die K noch die Rechtspflicht gegenseitiger Rück-
sichtnahme und Achtung: a) Ist ein Gegenstand
gleichzeitig beiden K vorgelegt, so hat die K, die
ihn später in Beratung nimmt, damit zu warten,
bis die andere ihn erledigte; b) keine K darf über
Vorlagen, die ihr die andere macht, zur Tages-
ordnung übergehen; c) ebensowenig ihren Ini-
tiativentwurf zurückziehen, nachdem sie ihn der
anderen übermittelte; d) Kritik der anderen K (in
Form von Interpellation, Diskussion, Abstimmung
usw.) ist zu vermeiden; nur Erklärungen der Regie-
rung in der anderen K können bemängelt werden.
In den Monarchien beruht, sofern nicht Gesetz
oder Geschäftsordnung anderes bestimmen, der
Verkehr auf Takt. Nur in einem Punkte ist die
Achtung vor dem anderen Hause gesetzlich zur
Pflicht gemacht. Er betrifft die Achtung vor dem
Votum des anderen Hauses. Eine Gesetzesvorlage,
welche die Regierung oder eine K der anderen
macht und durch die eine K gänzlich verworfen ist,
kann nach einer Reihe von Verfassungen (Preußen
64, Bayern VII 28, Hessen 91, Elsaß-Lothringen
16) in derselben Sitzungsperiode von keiner K
erneut zum Gegenstand der Initiative gemacht
werden. In Württemberg (Verf. 183) gilt das Ve-
bot nur für abgelehnte Anträge der anderen K. —
Manchmal bestimmen die Geschäftsordnungen (so
die des preuß. Herrenhauses), daß über Anträge
der anderen K nicht zur Tagesordnung überge-
gangen werden darf.
m5. Ausnahmen von der Gleichberechtigung.
1. In Bayern ist das Anregungsrecht ungleich.
Für den von der Ständeversammlung handelnden
Titel VI der Verfassung und die hierzu gehörigen
VerfBeilagen besitzt jede K die Anregung nur
so weit, als die Bestimmungen sie selbst betreffen
Landtag (Gleichberechtigung der Kammern)
727
(Gbetr. ständische Initiative v. 4. 6. 48 a 4).
Die K der Abgeordneten hat also z. B. wegen
Umgestaltung der I. K nur das Recht der Bitte
um Irnitiative.
2. Häufiger ist die Ausnahme, daß die eine K
durch die andere überstimmt werden kann. Das
ist möglich, wo Erledigung durch gemeinsame
Sitzung oder Durchzählen vorgeschrieben ist.
a) In Preußen beschließen die K über die Not-
wendigkeit einer Regentschaft in vereinigter Sit-
zung (Verf 56); ebenso wählen sie, wenn es an
hierzu gesetzlich berufenen Persönlichkeiten fehlt,
den Regenten (Verf 57). Dabei entscheidet ab-
solute Mehrheit (a 80); also ist möglich, daß die
schwächere K überstimmt wird, aber auch, daß
das kleinere Haus mit Hilfe der Minderheit des
anderen dessen Majorität niederstimmt. Die
gleichen Rechtssätze gelten für Hessen (Regent-
schaftsG v. 26. 3. 02).
b) In Hessen I] galt bisher außerdem bei der
Gesetzgebung ein allgemeines Durchzählungsrecht.
Wurde ein Gesetzvorschlag der Regierung, der in
der unmittelbar vorausgehenden Session von
einer K abgelehnt war, auf dem nächsten L. den
Ständen wieder vorgelegt und von einer K wieder
angenommen, von der anderen jedoch von neuem
abgelehnt, so hatte, wenn die Regierung den Ent-
wurf nicht lieber zurückzog, ein Zusammenzählen
der Stimmen stattzufinden, die bei den letzten
maßgebenden Abstimmungen in den einzelnen K
abgegeben wurden, wobei relative Mehrheit hin-
reichte. Durch G v. 3. 6. 11 ist dieser a 75 geän-
dert:o) es findet in dem angegebenen Falle Durch-
stimmen, somit gemeinsame Sitzung statt; in ihr
wird nicht nur gemeinsam abgestimmt, sondern
auch beraten. 5) zur Annahme bedarf es absoluter
Mehrheit der Anwesenden, wenn in der K, die
kurz zuvor annahm, die Annahme mit Zweidrittel-
mehrheit erfolgte; andernfalls ist zur Annahme
Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen
erforderlich, y) gemeinsame Sitzung und Durch-
stimmen erfolgt nur, wenn die Regierung es ver-
langt. Der neue a 75 wird nur durch seine Ent-
stehungsgeschichte verständlich. Auch bisher schon
war dem Unterhause das Ueberstimmen nicht leicht
gemacht. Wohl genügte für die Durchzählung
relative Mehrheit und das Durchzählen trat von
selbst ein. Aber das Oberhaus stand an Mitglieder--
zahl nur um durchschnittlich 16 Stimmen zurück.
Nun wurde die Mitgliederzahl der l. K durch be-
rufskörperschaftliche Vertreter erhöht. Davon
machte die II. K die Erweiterung des Budgetrechts
des anderen Hauses abhängig. Die neuen Mit-
glieder des Oberhauses stehen denen der II. K durch
Itnteressengemeinschaft näher. Um daher gegen die
erleichterte Möglichkeit des Ueberstimmtwerdens
gesichert zu sein, hat das Oberhaus in die Neugestal-
tung des Wahlrechts nur gewilligt, wenn die zum
Ueberstimmen erforderliche Majorität erhöht und
das Durchstimmen an ein Verlangen der Regie-
rung geknüpft werde.
Am weitesten ausgedehnt ist das Durchstimmen
in Schweden. Es heißt daher schwedisches Ab-
stimmungssystem. Dort findet es statt, sobald
über irgend ein Gesetz, auch ein noch nicht vorgelegt
gewesenes, übereinstimmende Beschlüsse sich nicht
erzielen lassen. Auch in den österreichisch-ungari-
schen Delegationen gilt Durchstimmen.
3. Finanzprivilegien der II. K. vgl. 88§ 6 ff.