vertreter können nicht prinzipiell dieselbe Rechtsmacht be-
sitzen wie die Repräsentanten vieler Stände. Nun erkennen
aber auch die Individualisten das Zweikammersystem als
begründet an. Das Individualprinzip sei durch das Sozial=
prinzip zu beschränken. Schutz gegen P-Tyrannei verlange
Zweiteilung. Ungleiche müßten um deswillen grundsählich
gleiche Rechte erhalten. Durch Gesetze würde zwar die
größte Masse der Bürger verpflichtet, trotzdem sollten die
bevorzugten Abgeordneten keinen geringeren Anteil an der
Gesetzgebung haben. Aber bei den die Volksmenge am
empfindlichsten treffenden Gesetzen müsse eine Ausnahme
bestehen. Wer einer wirtschaftlich bevorzugten Klasse an-
gehöre, nicht unmittelbar örtlich, sondern von Verbänden
für größere Bezirke gewählt werde, sei über die Leistungs-
sähigkeit der Bürger weniger genau unterrichtet und kein
unmittelbarer Vertreter der großen Menge der Steuer-
hahler. Also werde er nicht so auf Sparsamkeit dringen.
Anders steht die Sache, wenn, wie es sich nach dem We-
sen des Staates als einer Ordnung gehört, das Gesamt-
interesse über das Individualinteresse gestellt wird. Das
Sozialprineip verlangt auch in Finanzfragen Gleichberech-
tigung der K. Die II. K ist leicht abhängig von unten; bei
der I. K besteht die Möglichkeit der Abhängigkeit von oben;
die II. K neigt zu direkten, dic I. K zu indirekten Abgaben.
Daher ist cin Ausgleich ersorderlich. Ihn liefert die Gleich-
berechtigung. Jeder Beweis dafür fehlt, daß die II. K
ohne Vorrechte nicht in der Loge wäre, eine das Bolk be-
drückende Steuerpolitik des anderen Hauses zu verhindern.
Fast alle außerdeutschen Staaten kennen kein materielles
Vorrecht. Die Erfahrung lehrt, daß die 1I. K zu einer vom
Gesamtinteresse diktierten Erledigung der Geschäfte nur
mehr gelangen, wenn die Fraktionen übereinkommen, den
Wettbewerb um das Wohlwollen der Wähler auszuschalten.
Ein solches Uebereinkommen gelingt schwer und selten.
Die Sorge um die Erhaltung des Parteistandes verhindert
es. Die Oberhäuser sind sparsamer. Nicht darin, daß die
I. K in gemäßigter, sondern darin, daß die II. K in schärferer
Weise demokratisiert wurde, liegt die innere Rechtfertigung
der Erweiterung des Budgetrechtes der Oberhäuser in Baden,
Württemberg und Hessen.
Bergessen sei nicht, daß im reinen Verfassungsstaate,
5. B. Frankreich, es der Senat ist, der mehr materielle Bor-
Landtag (Finanzgesetze) 729
nicht einschränkt, gilt der Satz: Finanzgesetze sind
zuerst dem Unterhause vorzulegen, sowohl für Re-
gierung wie für P; über Finanzsachen hat nur die
I. K Initiative. Andererseits sind Finanzgesetze
nicht bloß Gesetze, die unmittelbar eine Einnahme
oder Ausgabe bestimmter Höhe beschließen, son-
dern Finanzgesetze sind Gesetze aus dem normalen
Wirkungskreise des Finanz Min, Gesetze, deren
hauptsächlichste Vorbereitung, wenn sie durch die
Regierung eingebracht werden, Sache des Min
ist, das grundsätzlich die Staatsfinanzen, d. h.
Staats-Vermögen, Einnahmen, Ausgaben ver-
waltet. Den Gegensatz bilden Militär-, Justiz-,
Verwaltungs= usw. Gesetze. Ein Lehrerbesoldungs-
gesetz ist ein Unterrichts-, ein allgemeines Besol-
dungsgesetz ein Finanzgesetz, geradeso wie ein
Militärjustizgesetz ein Militär-, ein allgemeines
Justizgesetz ein Justizgesetz ist. Das Lehrerbesol-
dungsgesetz vertritt in erster Reihe der Unter-
richts-, ein allgemeines Besoldungsgesetz der
Finanz Min. Nach Fleischmann DJ Z. 12, 738
sind Finanzgesetze Gesetze über Gegenstände des
Titels VIII der Verf („Von den Finanzen“).
In den anderen Staaten ist genau oder genauer
vorgeschrieben, worauf das Vorberatungsrecht sich
erstreckt. In Baden, wo es das V v. 24. 8. 04
(§ 60 Verf) aufzählend bestimmt, ist mehr vor-
zulegen insofern, als außer Finanzgesetzen au
die Rechnungsnachweisungen zuerst an die II.
zu gelangen haben. Weniger ist vorzulegen a) in
Sachsen, wo Steuer= und sonstige Ausgaben-
deckungsgesetze (Verf 122), b) in Bayern und
Württemberg, wo nur Abgaben= und Etats-Gesetze
(Verf VI 18 und VII4, württ. Verf 178 und 181),
Ddh in Hessen (Verf 67) und Elsaß-Lothringen (Verf
rechte besitzt als die Deputlerten K. Es fehlt hier eben zum,
Schutze gegen Machtmißbrauch der unmittelbaren Volkeo K
die unterstützende Mitwirkung eines starken Königtums.
Wenn der materiellrechtlich zurückgesetzte Teil des Pin
Deutschland doch den Namen „Erste" K führt, so erklärt
sich dies nur rangrechtlich. Die 1. K hat den Vortritt vor
der II. K, weil in ihr Mitglieder mit hohem Hof- und
Staatsrang kraft Gesetzes sitzen. Materiell betrachtet ist die
andere K die erste. Im englischen Verfassungskampfe seit
1909 bezeichnen die Liberalen das OCberhaus immer alt
II. Kammer.
# 7. Der Begriff Finanzgesetz im einzelnen.
In Preußen bestimmt Verf a 62 ganz allgemein:
Finanzgesetz-Entwürfe und Staatshaushalts-Etats
werden zuerst der II. K vorgelegt. Hieraus geht
hervor, daß Finanzgesetz mehr als die Staatshaus-
halts-Etats-Gesetze umfaßt. Der Begriff ist wissen-
schaftlich festzustellen. Finanzgesetze sind nicht alle
Gesetze, die auf das Vermögen, die Einnahmen
oder Ausgaben des Staates von Einfluß sind.
Ein Gesetz über Einführung obligatorischer staat-
licher Armenpflege oder Arbeiterfürsorge (Renten-
zuschüsse) oder über Teilung des Min Inn ist kein
Finanzgesetz. Sonst würde die grundsästzliche Gleich-
heit der K, welche die Verfassung auch für das Ini-
tiativrecht anerkennt, tatsächlich für das Initiativ--
recht der I. K illusorisch. Denn da die Verfassung
v. 31. 5. 11 §5), wo lediglich Etatsvorlagen dem
Vorberatungsrechte des Unterhauses unterstehen.
8. Das Finanzprivileg in Preußen. Das
Kennzeichnende des preußischen Rechts ist: bei
Etatsgesetzen besitzt das Abgeordnetenhaus das
formelle Privileg und ein materielles. Sie kann
die 1. K nur im ganzen annehmen oder ablehnen.
Für andere Finanzgesetze besitzt das Herrenhaus
dasselbe materielle Recht wie bei anderen Ge-
setzen. Das Vorrecht der II. K ist hier nur das
formelle. Daraus ergibt sich:
1. Von wesentlicher Bedeutung ist, ob bestimmte
Einnahmen und Ausgaben nur durch periodisches
oder durch Dauergesetze bewilligt werden sollen.
Legt die Regierung über allgemeine Gehälterer-
höhung ein besonderes Dauergesetz (Besoldungs-
gesetz) vor, so besitzt das Oberhaus Amendierungs-
recht; schlägt sie Erhöhung der Besoldungen immer
nur jahrweise, also im Etat vor, so ist das berhaus
jedes materiellen Einzeleinspruchs beraubt. Die
preuß. Besoldungs O v. 25. 5. 09 ist Dauergesetz,
ebenso wie das Gesetz über Bereitstellung von
Mitteln hierfür. Aber es kommt auch vor, daß die
Bereitstellung der Mittel durch Dauergesetze, die
Diensteinkommensverbesserung durch den Etat ge-
schieht. Das Herrenhaus hat wegen der raschen
Veränderlichkeit der Verhältnisse im Eisenbahn-
wesen in der Besoldungsordnung darein gewilligt
(52), daß gewisse Aenderungen der Ordnung durch
Etatsgesetz erfolgen können.
2. Daraus, daß der Etat zuerst im Abgeordneten-
hause zu behandeln ist, folgt: die I. K hat einen
Anspruch selbst auf bloße Beratung des Entwurfes
erst, wenn das Unterhaus ihn erledigte, also über