Landtag (Verfahren) 733
alle bisherige Arbeit, also auch die Mitarbeit der
Regierung hinfällig.
Auf die Dauer der Sitzungs-, nicht der Wahl-
periode erfolgt die Besetzung der Ehrenämter der
K (Präsidium, Direktorium), die sog. Konstituie-
rung des Hauses.
15. Berfahren deßm Laudtags. Ueberall, auch
im Reiche, sind vom Geschäftsgange der K drei
Punkte gesetzlich geordnet, die Oeffentlichkeit, das
Mehrheitsprinzip (es gilt absolute Mehrheit; RV
28) und die Beschlußfähigkeit. Die Zahl der Mit-
glieder, deren Anwesenheit zu einem gültigen Be-
schlusse erforderlich ist, heißt nach dem Anfangs-
worte eines englischen Dekrets Quorum. In
Deutschland ist das Quorum hoch. Im Reiche
(RV 28) und beim vreußischen Abgeordneten-
hause (Verf 80) muß eins über die Hälfte der ge-
setzlichen Mitgliederzahl anwesend sein. Beim
RIist diese Beschlußfähigkeitsziffer daher 199,
in Preußen 222; im Herrenhause jedoch (Gv.
30. 5. 55) nur 60. Anwesend ist auch, wer sich der
Stimme enthält. Das hohe CQuorum ist beim
RI dadurch praktisch nicht so bedeutungsvoll,
weil nach der Gesch O des RT §8 54 die Feststellung
der Beschlußfähigkeit (Auszählung durch Namens-
aufruf) nur erfolgt, wenn sie aus der Mitte des
Hauses angezweifelt wird. Ist das Bureau bei
Anzweiflung darüber einig, daß das Haus beschluß-
unfähig ist, so bedarf es nach der RObservanz
keines Namensaufrufes mehr. Für die Beratungs-
fähigkeit besteht keine Minimalziffer. Allein es ist
ein im R1 selten verlassener Brauch, Beschluß-
und Verhandlungsunfähigkeit zu identifizieren.
Ueber jeden Gesetzentwurf, gehe er von der Re-
gierung oder den Mitgliedern aus, im Reiche in
der Regel auch über jede andere BRVorlage, fin-
den im Plenum drei durch nur schwer abkürzbare
Fristen getrennte und verschiedenen
dienende Beratungen und zwei Abstimmungen
statt. Die erste Lesung darf nur General-
Zwecken
nahme, Ablehnung, Abänderung der Sache. Die
Resolution unterscheidet sich von anderen Be-
schlüssen, insbesondere Initiativbeschlüssen, da-
durch, daß die Regierung sie nicht in Behandlung
zu nehmen braucht. Die praktische Bedeutung
der Resolutionen besteht darin, daß Anträge im
– — .
früher behandelt werden, wenn sie als Resolu-
tionen statt als Initiativanträge eingebracht wer-
den. Denn für die Beratung von Initiativanträ-
gen gibt es nur wenige Sitzungen (Schwerinstage).
Am sichersten sind Resolutionen zum Etat (Etat-
resolutionen), insbesondere zum Etat der K selbst.
Interpellationen sind selbständige An-
fragen an die Regierung, d. h. Anfragen, die nicht
im Verlaufe der Beratung eines anderen Gegen-
standes erfolgen. Sie zerfallen in 1. große oder
eigentliche Interpellationen, d. h. Anfragen, auf
die eine mündliche Beantwortung verlangt wird
und die daher einen besonderen Gegenstand der
Tagesordnung bilden, und in 2. kleine oder schrift-
liche, d. h. solche, bei denen der Abgeordnete bei
der Einreichung erklärt, er begnüge sich mit schrift-
licher Antwort. Kleine Anfrager kannte von
deutschen P bis 1912 nur die II. K Württembergs
und auch sie erst seit ihrer neuen Gesch O v.
12. 8. 09. Seit 1912 sind sie auch im RL, in Elsaß-
Lothringen und Baden eingeführt. Die Geschäfts-
ordnung der II. württ. K brachte auch die Neue-
rung, daß eigentliche Interpellationen auf die
Tagesordnung der nächsten Sitzung zu bringen
sind, gleichgültig ob die Regierung sich zur Be-
antwortung bereit erklärt hat oder nicht.
Eine Petition (Eingabe) an eine K wird
von dieser der Regierung vorgelegt a) zur Kennt-
nis, wenn sie zwar nicht völlig unbegründet, je-
doch zur Zeit keine bestimmte Stellung der K hierzu
pveranlaßt ist, b) zur Erwägung, wenn die Eingabe
debatte sein. Abänderungsanträge und jeder ma-
terielle Beschluß sind daher verboten. Die zweite
Beratung ist auf Spezialdebatte zu beschränken;
abgestimmt wird nur über die einzelnen Positionen
und Amendements. Die dritte Lesung bildet eine
abgekürzte Wiederholung der ersten und zweiten
Lesung. Die Abkürzung wird dadurch herbeige-
führt, daß 1. Abänderungsanträge an das Plenum
von der Beendigung der zweiten Lesung ab der
Unterstützung durch andere Mitglieder (im Reiche
30) bedürfen, 2. am Schlusse der Beratung nur
über die Vorlage als ganzes abgestimmt wird. —
Zur Tagesordnung übergehen
heißt, einen Antrag ohne Vorberatung oder wei-
tere Vorberatung ablehnen (Anträge der Regierung
dürfen nicht so behandelt werden). Antrag auf
Tagesordnung bedeutet also Antrag auf defini-
tives Verlassen eines Beratungsgegenstandes und
Uebergang zum nächsten Punkte der Tagesord-
nung. Der Beschluß kann mit Gründen oder ohne
solche ergehen (motivierte bezw. einfache Tages-
ordnung).
Resolutionen sind formulierte Erklä-
rungen unverbindlichen Inhalts, die eine K aus
Anlaß der Entscheidung eines Beratungsgegen-
standes über Dinge beschließt, die mit diesem Gegen-
stande sachlich zusammenhängen. Die neue württ.
Geschäftsordnung nennt sie „besondere Entschlie-
Hungen“ zur Sache. Den Gegensatz bildet An-
— —— — —— — — —
für Gesetzgebung oder Verwaltung beachtenswertes
Material enthält oder die nähere Prüfung des vor-
gebrachten persönlichen Anliegens angemessen ist,
o) zur Berücksichtigung, wenn das Gesuch berech-
tigt ist. In allen anderen Fällen beschließt der
mit der Vorprüfung betraute Ausschuß „unge-
eignet zur Erörterung in der Kammer“. Der Be-
schluß wird den K Mitgliedern gedruckt mitgeteilt.
Sie können dann beantragen, die Eingabe (ganz
oder teilweisc) der Regierung zur Kenntnisnahme,
Erwägung, Berücksichtigung vorzulegen (vgl. z. B.
württ. Gesch O + 28).
Obstruktion heißt dieijenige Verletzung
oder Anwendung der parlamentarischen Ver-
fahrensvorschriften, die ausschließlich zum Zwecke
hat, die Beratung oder Beschlußfassung zu ver-
schleppen oder zu vereiteln. Das PMitglied muß
nicht ausschließlich oder in erster Linie zum Zwecke
des Fortschreitens der Geschäfte handeln; es darf
andere Zwecke (Eitelkeit, Parteizwecke, Disputier-
sucht) verfolgen; aber es darf nicht ausschließlich
auf Hinderung ausgehen, denn Zweck der Ge-
schäftsordnung ist, die Geschäfte der K, das Ver-
handeln, vorwärts zu bringen. Obstruktion ist
auch dann rechtswidrig, wenn sie nicht in Verlet-
zung (mechanischer Obstruktion), sondern in An-
wendung der Geschäftsordnung (technischer Ob-
struktion) besteht; denn nicht bloß zweck-, sondern
rechtswidriger Gebrauch liegt vor, wenn eine an
sich rechtlich erlaubte Handlung nicht bloß zu irgend
einem anderen, sondern zu dem der Absicht der
Vorschrift gerade entgegengesetzten Zwecke vor-