Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Schutzgebiete (II. Recht und Gericht) 
II. Gerichtliches Berfahren. Bürgerlicheß 
und Strafrecht. 
1. Für das Verfahren in bürger- 
lichen Streitsachen, Konkurssachen, 
in der freiwilligen Gerichtsbarkeit und 
Strafsachen sowie für das anzuwendende 
materielle Recht sind gemäß 3 3 Schutz- 
eb G (§ 19 Kons GG) im allgemeinen die Vor- 
Poriften der Reichsgesetze und — abgesehen vom 
Strafrecht und Strafverfahren — auch der preu- 
Hischen Gesetze im bisherigen Geltungsbereiche 
des Allg. Landrechts maßgebend. Es finden also 
die 8P die St PO, die KO, das Reichsgesetz 
und preußische Gesetz über die freiwillige Ge- 
richtsbarkeit, das BGB, Hn, die Wechsel O, 
das Gesetz über die Gesellschaften mit beschränk- 
ter Haftung, das Genossenschaftsgesetz, das Haft- 
pflichtgesetzusw. Anwendung. Nach 8 20 KonsGG 
sind jedoch Vorschriften ausgenommen, die Ein- 
richtungen und Verhältnisse voraussetzen, an denen 
es für das Schutzgebiet fehlt. Durch Kaiserliche 
Verordnung können diese Vorschriften näher be- 
zeichnet und andere an ihre Stelle gesetzt werden. 
2. Eine Reihe von Abweichungen beruhen auf 
besonderen Vorschriften des SchutzgebG und 
Kons GG. So finden auf Vereine, die ihren 
Sitz in einem Schutzgebiete haben, die Vorschrif- 
ten der §#§# 21, 22, 44 Abs 1 und 55—79 BG# 
keine Anwendung: kein Vereinsregister; Rechts- 
fähigkeit nur gemäß 3J 23 BeG# B. Für die hier und 
in den §5 33 Abs2, 43, 80, 8700 B dem Bundesrat 
zugewiesenen Entscheidungen ist in Ansehung von 
Vereinen, deren Zweck nicht auf einen wirtschaft- 
lichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, sowie von 
Stiftungen nach Schutzgeb G 5 13a (Go. 22. 7. 13, 
RGl. 599) der Reichskanzler zuständig, der 
seine Befugnisse, soweit es sich nicht um Religions- 
gesellschaften und geistliche Gesellschaften handelt, 
auf die Gouverneure übertragen kann. Schuld- 
verschreibungen auf den Inhaber, 
in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme 
versprochen wird (§ 795 Abs 1 BGB), dürfen, 
wenn sie in den Schutzgebieten ausgestellt wor- 
den sind, nur mit Genehmigung des Reichskanz- 
lers in den Verkehr gebracht werden [UBerg- 
recht, Kolonialgesellschaften, Per- 
sonenstand. Das Liegenschaftsrecht 
ist zweckmäßig unter § 13 behandelt!l. 
3. In bürgerlichen Rechtsstrei- 
tigkeiten ist das Verfahren insofern wesent- 
lich vereinfacht, als für sämtliche Streitsachen und 
in beiden Instanzen die vor den Amtzgerichten 
maßgebenden Vorschriften der ZPO Anwendung 
finden (insbesondere kein Anwaltszwang). Ebenso 
gelten für das Zustellungs= und Zwangsvoll- 
streckungswesen einfachere Vorschriften. Eine Be- 
rufung ist nur zulässig, wenn der Wert 
des Streitgegenstandes 300 Mk. übersteigt. Im 
Strafverfahren fällt Voruntersuchung 
und Erhebung der Anklage fort. Zu den erfor- 
derlichen Ermittelungen ist der Bezirksrichter zu- 
ständig. Die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft be- 
schränkt sich auf eine Mitwirkung bei der Haupt- 
verhandlung in erster Instanz, bei der Einlegung 
von Rechtsmitteln und dem Verfahren zweiter 
Instanz. Der (vor den Schöffengerichten geltende) 
Grundsatz, daß das Gericht den Umfang der Be- 
weisaufnahme bestimmt, ist auf alle Strafsachen 
ausgedehnt. Auf der anderen Seite ist auch die 
  
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Berufung (gewisse Ausnahmen für Ueber- 
tretungen) gegen sämtliche Urteile in Strafsachen 
egeben. Die Todesstrafe ist durch Ent- 
Hanp#ung Erschießen oder Erhängen zu vollstrecken. 
Der Gouverneur trifft im Einzelfalle über die 
Vollstreckungsart Bestimmung. Das Begna- 
digungsrecht (XNI steht dem Kaiser zu. 
Die Gerichtskosten (I] werden im allge- 
meinen im doppelten Betrage der in der Heimat 
vorgeschriebenen Sätze erhoben. Dasselbe gilt 
für die Gebühren der Rechtsanwälte und Notare. 
Bal. die Literatur am Schlusse des Gesamtartikels unter 
„Quellenwerke“, „Systeme“ und „Rechtsprechung“; ferner: 
Doerr, Kolonialstrafprozeßrecht, 1913; v. Hoff- 
mann, Verwaltungs= und Gerichtsverfassung in den 
Schutzgebieten, 1908; Köbner, Organisation der Rechts- 
pflege in den Kolonien, 1903; Kraus, Reichsstrafrecht 
und die Schutzgebiete, 1911: Mallmann, Rechte und 
Pflichten in den Schutzgebieten, 1913: Radlauer, 
Umfang der Geltung des preuß. Rechts in den deutschen 
Schutzgebieten, 1911; Seelbach, Grundzüge der 
Rechtspflege in den deutschen Kolonien (Diss.), 1901; Sieg- 
lin, Die koloniale Rechtspflege und ihre Emanzipation 
vom Konsularrecht, 1908; Fleischmann im Kolonial= 
Jahrbuch 1908 S 106—111; 1909 S 70—72; 1910 E 71 
bis 75; 1911 S 71—73; 1912 8 70; 1913 S 173. Zahl- 
reiche Abhandlungen von Doerr, Hesse, Sassen, 
Frh. v. Stengel ufw. in Z. f. Kol.-Pol., Kol. Mo- 
natsbl., Kol. Rundschau, D. Kol.-Z. Berhandlungen der 
d. Kolonialkongresse 1902 S 318 f. 1905 S 317f,. 
1910 S 386 f. 
8 6. Eingeborenenrechtspflege (außer Kiaut- 
chou 7). 
I. Allgemeines. Die Ordnung der Rechts- 
verhältnisse der Eingeborenen greift z. T. in 
das VerwRecht hinüber und es kommen dafür 
besondere, namentlich auch allgemeinpolitische 
Gesichtspunkte in Betracht. Wie die Erfahrungen 
aller Kolonialvölker gelehrt haben, liegt es im 
Interesse einer friedlichen Durchführung der 
Kolonisation, die Rechtsanschauungen und Sitten 
der Eingeborenen nach Möglichkeit zu schonen. 
Die eingeborene Bevölkerung der deutschen Schutz- 
gebiete erscheint auch im allgemeinen wegen ihres 
verhältnismäßig niedrigen Kulturzustandes für 
eine rechtliche Gleichstellung mit den Weißen 
noch nicht reif. Dementsprechend ist in S§ 4, 7 
Schutzgeb G vorgesehen, daß die durch 88 2, 3 
in den Kolonien eingeführte Rechtsordnung auf 
die Eingeborenen nur insoweit Anwendung findet, 
als dies durch Kaiserliche Verordnung bestimmt 
ist (bisher nur ausnahmsweise, z. B. bezüglich 
der im Grundbuch und Landregister eingetragenen 
Grundstücke). Den Eingeborenen (iin Be- 
tracht kommen in Ostafrika Suaheli, Neger der 
Bantustämme; in Kamerun und Togo Bantu- 
neger, Sudanneger und hamitische Elemente, 
wie Haussa und Fullah; in Südwest Herero, 
Ovambo, Hottentotten, Bergdamara, Buschmän- 
ner und Bastardstämmez in der Südsee Papuas, 
Melanesier, Mikronesier, Polynesier, in Kiaut- 
schon Chinesen) sind die Angehörigen 
fremder farbiger Stämme (Araber, 
Inder, Afghanen, Malayen usw.) gleichgestellt. 
Zu diesen gehören jedoch nicht die Japaner. 
Ferner können die Gouverneure mit Genehmigung 
des Reichskanzlers Ausnahmen bestimmen, 
wie dies in Ostafrika für Goanesen und Parsen 
sowie nicht mohammedanische Syrer, in Samoa
	        
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