Full text: Geschichte des Preußischen Staates

276 Das Heer. 
reichlich Stoff zu Spott und Tadel. Die „langen Kerle“, aus denen der König 
für ungeheuere Summen, bis über 1000 Thaler für den einzelnen Mann, 
namentlich seine Potsdamer Riesengarde zusammensetzte, verlachte man und 
übersah, daß dies keineswegs eine Leidenschaft nur Friedrich Wilhelms war, 
sondern daß man vielfach in jener Zeit die großen 
Menschen in besonderem Sinn geeignet für den 
Soldatenstand hielt, und z. B. das gelbe Regiment 
Graf Rutowsky in Dresden ebenfalls nur aus 
langen Kerlen Psammengesegt war. Man schalt über 
die harte, brutale Behandlung der Soldaten und 
ließ es doch unbeachtet, daß überhaupt das Prügeln 
und Schlagen der Leute auch im bürgerlichen Ver- 
hältnis herrschende Sitte war, und daß in allen 
Armeen der Zeit der Stock und das Spießruten- 
laufen eine furchtbare Rolle spielten. Noch setzten 
sich ja die Heere aus dem Auswurf der Menschheit 
zusammen, und jeder Thunichtgut, der sonst sein 
Fortkommen nicht finden, jeder Liederjahn, der in 
er Gesellschaft nicht geduldet werden konnte, wurde 
als gemeiner Soldat untergesteckt, — was Wunder, 
daß Strafen häufig nötig wurden! Friedrich Wil- 
helm aber liebte „seine blauen Kinder", und wie 
scharf und blutig auch die Strafen waren, willkür- 
lich oder ungesetzlich waren sie gewiß nicht. Schon 
am 12. Juli 1713 vielmehr hatte der König neue 
Kriegsartikel erlassen, nach denen der ordentliche 
Richter, der Auditeur — und jedes Regiment hatte 
einen solchen — zu richten hatte, und eher no 
(seit 1692) als von den Zivilrichtern wurde von 
den Militärauditeuren die Ablegung einer Prüfung 
vor ihrer Anstellung verlangt. Freilich Desertionen 
waren noch an der Tagesordnung, aber das lag 
eben jedem Heere sozusagen im Blute, da sie aus 
geworbenen Mannschaften bestanden, die mit dem- 
selben Interesse oder mit demselben Widerwillen in 
- diesem oder in jenem Heere dienten, je nachdem sie 
n 7, bessere Löhnung erhielten oder Strafe zu gewärtigen 
edri Wiiheim atten. In Preußen aber wurden die Soldaten 
s- buiu“i'l F— “ besser bezahlt, besser ernährt, als irgendwo, sie 
76 Zreh zu eigead e n f"kolipengolten hatten sogar größere Freiheit als Männer in anderen 
» Berufen, und indem der König zugleich Schulen ein- 
richtete, in denen jeder Soldat schreiben und lesen, rechnen und den Katechismus 
lernen mußte, hob er die Bildung der Leute, ihre sittliche Führung außer- 
ordentlich. Und für ihre hinterbliebenen Waisen sorgte das in Potsdam errichtete 
große Militärwaisenhaus, für welches der König mit der denkbar größten Frei- 
gebigkeit immer neue Summen aussetzte. Wenige Jahre nach Friedrich Wilhelms 
Tode behauptete ein bedeutender Schriftsteller, daß die Soldaten der preußischen 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.