394 Orientalische Frage. — Oesterreichs Annäherung an Preußen. — Polen.
#69 König Friedrich in Neiße und zu einer Erwiderung des kaiserlichen Besuches durch
70 König Friedrich in Mährisch-Neustadt, wo sich auch der Kanzler Graf
Kaunitz eingefunden hatte. Es gab mancherlei Besprechungen, und Friedrich
würdigte den ungestümen, „von Ehrgeiz verzehrten" kaiserlichen Herrn eingehender
Belehrungen, deren Summa wohl die gewesen sein möchte, welche Friedrich kurz
vorher dem österreichischen Gesandten General Nugent gegeben. „Wir sind Deutsche,
was geht es uns an, wenn Engländer und Franzosen sich um Kanada schlagen,
oder Russen und Polen zugleich mit den
Türken sich herumbalgen?“ So lebhaft im
deutschen Interesse wünschte Friedrich wieder
ein Zusammengehen mit Oesterrreich zu er-
möglichen, und das Resultat, eine gemein-
same Vermittelung bei Rußland zu ver-
suchen, entsprach auch etwa der Absicht des
Königs. Doch es begreift sich, daß der
Entschluß, Friedrich entgegenzukommen und
preußische Interessen zu berücksichtigen, in
Wien nur mit schwerem Herzen gefaßt war,
und der junge Kaiser glaubte gewiß, sehr
weise den König zu beurteilen, wenn er
ihn zwar ein Genie nennt — er hätte sich
blamiert, wenn er das nicht vorausgeschickt
— aber hinzusetzt, „aus allem, was er,
wie wunderbar immer, gesagt, habe er doch
den Schelm herausgefühlt". Natürlich,
wenn Oesterreich nach seinem Interesse
handelte, so war das recht und gut, wagte
aber Preußen von deutschen oder gar von
preußischen chüf zu sprechen, so be-
Fuenn „legte man seinen König mit einem Schimpf-
3oee ula Matnh Ee Srr « wort und erntete kasi s0 den Ruhm
n des geistreichen Mann
Friedrich dürfte Seen die Erfolg=
losigkeit der Vermittelung bei Katharina vorausgesehen haben. Mit vollen
Segeln daherfahrend gegen die entuervte Macht des Halbmondes, wie hätte
sie der Wünsche die Nachbarn achten sollen! Hatte Oesterreich doch dank des
von ihm selbst so leichtfertig angezettelten und so mühselig beendeten Krieges
in Wahrheit nicht mehr die Kraft, das Schwert zu ziehen! Diese Ohnmacht
Oesterreichs beim Auftauchen der orientalischen Frage war vielleicht die schlimmste
Strafe für seine Begierde, den preußischen Staat aufzuteilen; nun vermochte
es nicht mehr, nach eigenem Ermessen eine Frage von so tiefgehender Be-
deutung für sein eigenes Dasein zu entscheiden. Und doch die Lebensader hätte
man sich durchschnitten, wenn man Rußland nicht wenigstens in den Arm ge-
U6/9 fallen wäre. So besetzte Oesterreich das Zipser Komitat, d. h. es nahm pol-
nische Landesteile einfach in Besitz und gab damit ein ansteckendes Beispiel.
Der Gedanke, mit dem man bisher wie gespielt hatte, war Wirklichkeit geworden,
und nichts hat nach Friedrichs Urteil die Teilung Polens mehr beschleunigt als