Erste Teilung Polens. 895
diese Maßregel. Sie war das Signal zur Beseitigung dieses dahinsterbenden Staates,
der ins Rollen gekommene Stein, der alle Hindernisse überspringt und nicht mehr auf-
zuhalten ist. Katharina war außer sich; mit demselben Rechte könnten, so sagte sie,
andere Nachbaren Polens verjährte Ansprüche geltend machen — und wie nun, wenn
Rußland solche geltend machte, wenn es sich mit Ossterreich verständigte, und beide,
die orientalische Frage vorläufig lösend, über Polen das Los warfen? Mußte
nicht Preußens Lage schlimmer, entsetzlicher werden, als sie selbst in dem großen
Kriege gewesen? Durch den unerwarteten Zuwachs an polnischem Gebiet macht-
voller als je, wären Rußland und Oesterreich in langer Linie an die preußische
Grenze vorgeschoben, hätten Preußen umklammert und bei erster Gelegenheit über
den Haufen zu rennen versucht.
Begreiflicherweise setzte Friedrich alles daran, einen solchen für Preußen
unerträglichen Zustand zu hintertreiben. In der That trug das verbindliche und
sanftmütige Entgegenkommen, das sich Friedrich immer zur Pflicht gegen die Kaiserin
Katharina gemacht, jetzt seine Früchte, und die Nachgiebigkeit, die er den russischen
Wünschen in den letzten Jahren oft mit schwerem Herzen gezeigt, empfing ihren
Lohn. Er hatte seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, angewiesen, eine Fahrt
nach Stockholm über Petersburg zu machen. Glänzend empfing ihn Katharina,
und ihr Anerbieten, Preußen für die ihr gezahlten Subsidien durch Gebiete, welche
Ostpreußen mit dem Kern der Monarchie verbanden, zu entschädigen, zeigte,
welchen Wert sie auf das Urteil des Hauptes der europäischen Fürstengemeinschaft
legte. Je erfreulicher dieser Beweis dafür, daß Oesterreich ihn in Petersburg
nicht überholt hatte, für Friedrich war, umso weniger konnte er Neigung haben,
sich für den nun doch geplanten Angriff der österreichisch-türkischen Heere gegen
Rußland durch die von Oesterreich geforderte Neutralität binden zu lassen. Für
diesen Fall erklärte er vielmehr, den Russen helfen zu wollen, und besetzte daher
nach dem Abzug der Russen aus dem Posenschen eben diesen Teil des unseligen
Königreiches. Ein Mordversuch auf den polnischen König und eine Neuwahl
veranschaulichten die Vorherrschaft Rußlands und die Unfähigkeit der Polen, sich
zu erhalten, noch lebendiger, und Friedrich glich in Wahrheit dem Manne, dessen
Nachbar sein Haus nicht ausbessern wollte, obwohl es dem Einsturz drohte. Ent-
weder er wurde mit ihm verschüttet, oder er mußte mit den anderen schließlich
mitmachen“. Er mußte vor allen Dingen die unklaren und ungeregelten Besitz-
verhältnisse in Polen zu irgend einem Abschluß bringen, welcher Rußland wie
Oesterreich befriedigte und die Ruhe zwischen ihnen erhielt. Er mußte den that-
sächlichen Besitz der Mächte vertragsmäßig regeln, und aus den Willkürlichkeiten,
aus deren Schoß nur eine Hydra mit ungezählten Köpfen entspringen konnte, in
die Bahnen des völkerrechtlich anerkannten Besitzes überleiten, der allein den
Frieden gewährte. So kam es im Frühjahr 1772 zu geheimen Verabredungen,
am 5. August 1772 zu dem offenen Petersburger Vertrage zwischen den drei ½72
Mächten, der von dem polnischen Reiche Littauen mit 2500 Geviertmeilen und
824 000 polnischen Gulden Einkommen an Rußland, Galizien mit 1500 Geviert-
meilen und 2 700 000 Gulden Einkommen an Oesterreich und Westpreußen mit
etwa 650 Geviertmeilen (auf Oesterreichs Verlangen jedoch ohne Danzig, ohne
Thorn) und 512 000 Gulden Einkommen an Preußen gab.
Polen war verzweifelt, aber keine der Mächte Europas rührte sein Schicksal,
die Geschichte hatte ihr unerbittliches Schicksal über die Lüge, die es einen Staat