396 Kaiser Josephs Eroberungspläne.
nannte, gesprochen. Rußland und Oesterreich nahmen einfach unter Bezugnahme
auf ihre Verabredungen Besitz von dem Lande, Preußen that es in dem Bewußt-
sein, ein deutsches Land dem Reiche wiedergewonnen zu haben. Friedrich wußte
sehr wohl, daß er seine Grenzfetzen im Osten zusammengenäht, seinen Staat ab-
gerundet, daß er eine große Sache, die ihn seit Jahrzehnten beschäftigt, güückich
beendet hatte. Er war „Gott sei Dank im Zusammenhange mit Preußen“.
er wußte auch, daß er uralte deutsche Länder, die nur durch siegreiche ##uet
der Polen dem Reiche entfremdet waren, dem deutschen Wesen zurückgewonnen hatte.
Mit voller Klarheit sprach er es bei der Vesihergreifung aus. Was einst die
Markgrafen von Brandenburg nicht hatten hindern können, war nun gesühnt, was
der Große Kurfürst begonnen hatte, war fortgeführt, beinahe vollendet. Die alten
deutschen Ordensländer waren wieder deutsch, und indem sie zugleich preußisch
wurden, hatten sie die Gewähr für die vollen Segnungen dessen, was deutsche
Arbeit, deutscher Fleiß und deutsche Pflichttreue dem Menschen zu geben vermögen.
Europa aber war vor einem allgemeinen Kriege bewahrt.
Unendlich wichtig für die augenblickliche Lage Preußens war es ferner, daß
die Befürchtungen Friedrichs, Joseph könne sich der Zarin nähern und in innigem
Einverständnis mit Rußland Preußen verdrängen, noch nicht Wirklichkeit geworden
waren. Noch war der Gegensatz Oesterreichs und Rußlands hierfür zu stark.
Um so leidenschaftlicher aber tobte eine unersättliche Eroberungsgier im Herzen
U# des Kaisers. Schon gab er von ihr ein weiteres Zeugnis, als er der von
Rußland zum Frieden von Kudschuck-Kainardsche und zur Anerkennung des
russischen Einflusses genötigten Pforte auch die Bukowina nahm. Aber nicht
dort, sondern in Deutschland selbst lagen seine Hauptwünsche. Ein altes deusschen
Fürstenhaus wollte er aus Deutschland hinauswerfen, und einen deutschen Volks-
stamm, der seit Jahrhunderten mit seinem Fürstenhause in Treue verwachsen
war, dem habsburgischen Szepter unterwerfen. Bayern zu einer österreichischen
Provinz zu machen, die Wittelsbacher vom deutschen Boden zu verjagen, das
schien ihm eine Aufgabe, würdig des habsburgischen Blutes, würdig der deutschen
Kaiserkrone, die er trug. Und wenn dem Anwachsen der österreichischen und
russischen Macht gegenüber die innere Fäulnis in Frankreich, wie — nach dem
Abfall Nordamerikas — auch die Ohnmacht Englands auf dem europäischen Fest-
lande täglich sichtbarer wurde, so hatten Josephs Absichten die volle Aussicht des
Gelingens, und das Uebergewicht des russischen und österreichischen Kaiserhofes
mußte ein unbedingtes werden. Beide fuhren fort, ihre revolutionäre Politik
zu treiben, und hätten sie durchgesetzt, wenn nicht ein Staat, wenn nicht Friedrich
ihnen entgegengetreten wäre. Und welche weitgreifenden, welche umfassenden
Pläne hatte Joseph schon für das Reich gefaßt, wie viel Aenderungen glaubte
er zunächst hier — denn in Oesterreich war er nur Mitregent seiner Mutter —
ausführen zu sollen! Aber wie er „wohl Neigung hatte, zu lernen, doch keine
Geduld, sich zu unterrichten", so waren auch seine Pläne für das Reich im
hünstigsten Falle unausführbar. Neuen Most wollte er in den alten Schlauch
gießen und sah nicht, daß dieser, zerfressen überall, von der frischen, gährenden
Füfigret schließlich nur gesprengt werden mußte. Wie unbequem war es, daß
Friedrich allen Versuchen, das Reich und seine Glieder zu unterwerfen, sich wider-
setzte, daß er sich der Rechte und des Besitzstandes der gefährdeten deutschen Fürsten
kräftig annahm! Wie hoffte Joseph auf den Tod dieses Störenfriedes seiner