Full text: Geschichte des Preußischen Staates

Sozial-Gesehgebung. 735 
sowie ihrer Verbindung durch Kanäle erheblich gearbeitet wurde, und vollends 
durch das Verdienst des zum Staatssekretär erhobenen Generalpostmeisters Stephan 
der Weltpostverein ganz ungeahnte Erleichterungen dem Verkehr brachte. Die 
Postverwaltung wurde von Jahr zu Jahr eine größere. Von 4600 stieg die 
Zahl ihrer Anstalten auf 20.000, die Telegraphenanstalten vermehrten sich von 1000 
auf über 13000, die Briefsendungen von 734 auf über 2000 Millionen, die 
Packetsendungen von 50 auf beinahe 100 Millionen, der Telegramme von 7 auf 
21 Millionen, und die Einnahmen der Post stiegen von 70 auf über 200 Millionen 
Mark. Mit unwiderleglicher Sicherheit beweisen diese Zahlen, welchen ungeheuren 
Aufschwung der Verkehr und mit ihm Handel und Industrie gewonnen haben, 
aber auch der unermeßliche Segen für den kleinen Mann liegt ganz abgesehen 
von der Schar, die als Beamte der Eisenbahn= und Postverwaltung dauernde 
Beschäftigung und gutes Einkommen fanden, auf der Hand. Immer wieder konnte 
in Preußen ein sehr erheblicher Steuererlaß zugestanden werden, und bald kam 
es dahin, daß das Reich die Finanzen der Einzelstaaten außerordentlich erleichtern, 
fast 150 Millionen ihnen zuweisen konnte. Obwohl demnächst auch namentlich 
für das Volksschulwesen ein sehr erheblicher Zuschuß geleistet, später auch das 
Schulgeld ausgehoben wurde, so kam es weiter dahin, daß ein sehr hoher 
Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt von allen Personalsteuern befreit wurde, 
also daß in Preußen auf den Kopf der Bevölkerung nur 25 Mk. Steuer ge- 
zahlt werden, während Frankreich wie England mehr als das Doppelte, jenes 
61, dieses 58 Mk. entrichten. 
So erheblich diese den liberalen Parteien mühsam abgekämpfte Erleichterung 
des kleinen Mannes war, so schwand doch jede Aussicht, das Mittel zu erlangen, 
in welchem Fürst Bismarck die ergiebigste, am wenigsten drückende und daher voll 
gerechtfertigte Finanzquelle sah: das Tabaksmonopol oder doch die höhere Be- 
steuerung des Tabaks. Keineswegs aber war Kaiser Wilhelm geneigt, sich durch 
Parlamentsreden und Fraktionspolitik an der Ausübung derjenigen Pflichten 
hindern zu lassen, die ihm aus seiner Stellung als Christ und Monarch von 
selbst sich ergaben. Nächst der Stärkung der wirtschaftlich Schwachen durch den 
erzicht auf ihre Steuern, galt es nun vor allem den Schutz der bei der Arbeit 
Verunglückten wie der zu ihr durch Alter untüchtig Gewordenen. Indem jene 
bisher eine Schuld des Betriebsunternehmens an ihrem Unfalle nachweisen mußten, 
um eine Entschädigung zu erhalten, erhöhten die dadurch entstandenen Prozesse 
den Haß der Armen gegen die Reichen, und indem diese lediglich auf die Almosen 
der Armenpflege angewiesen waren, wurde das Gefühl menschlicher Würde in 
ihnen erstickt und zugleich die Erbitterung gegen die vom Schicksal Begünstigten 
geschärft. Da nun trat der Kaiser mit jener Allerhöchsten Botschaft vom 
17. November 1881 an den Reichstag hervor, die seitdem und noch auf lange 
hinaus die Grundlage unseres staatlichen Lebens sein wird und den sozialen 
Charakter des preußischen Königtums auch auf die deutsche Kaiserwürde endgiltig 
übertrug. „Die Heilung der sozialen Schäden“, so wurde vom Hohenzollern= 
Thron wieder alle Welt belehrt, „werde nicht ausschließlich im Wege der Repression 
sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven 
Förderung des Wohls der Arbeiter zu suchen sein.“ „Wir halten es“, so sprach 
6..Kaiser, „für unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von 
iem ans Herz zu legen, und würden Wir mit umso größerer Befriedigung auf
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.