126 8 12. Die Rechte der Einzelstaaten.
Die Zulässigkeit eines solchen Landesgesetzes kann jedoch nicht
verneint werden!). Denn da das Reichsgesetz nicht den Rechtsgrund-
sätzen entsprechend zustande kommt, wenn der Einzelstaat gegen das-
selbe sich erklärt, und ebensowenig, wenn er sich der Abstimmung
enthält, sondern nur, wenn derselbe positiv seine Einwilligung, also
seinen Verzicht auf das Sonderrecht ausspricht, so handelt die Regie-
rung des Einzelstaates bei ihrer zustimmenden Erklärung stets in
doppelter Eigenschaft, einerseits als Mitglied des Reiches, anderer-
seits als ein dem Reiche selbständig gegenüberstehendes Rechtssubjekt,
welches an das Reich ein Recht aufopfert. In dieser letzteren Eigen-
schaft führt die Regierung nicht ein staatsrechtliches Geschäft des Reiches,
sondern ein staatsrechtliches Geschäft des Einzelstaates und es ist daher
auch Sache des Einzelstaates, die Grundsätze aufzustellen, nach denen die-
ses Geschäft zu führen ist?). Soll z. B. Württemberg in die Biersteuerge-
meinschaft eintreten, so ist dieser Akt sowohl von dem Interesse des Rei-
ches aus,als auch von dem Interesse desgenannten Finzelstaatesaus zu prü-
fen und zu beschließen und es muß zwischen dem Reich und dem betreffen-
den Einzelstaat ein Konsens?) erzielt werden. Soweit es sich um den
Willensentschluß des Reichs handelt, ist derselbe von der Zustimmung
und Mitwirkung der partikulären Volksvertretungen emanzipiert; so-
weit die spezielle Zustimmung des Einzelstaates erforderlich ist, handelt
es sich um einen Willensakt des Einzelstaates, bei welchem dessen Re-
gierung die Regeln des Landesstaatsrechts befolgen muß. Würde unter
Verletzung dieser Regeln der Vertreter Württembergs dem Anschluß
dieses Staates an die Biersteuergemeinschaft zustimmen, so wäre das
in dieser Art zustande gekommiene Reichsgesetz auch für Württemberg
verbindlich, weil die Reichsverfassung lediglich diese Zustimmung
im Bundesrat erfordert; aber die Regierung dieses Staates könnte nach
Maßgabe des Landesrechts wegen ihres Verhaltens zur Verantwortung
gezogen werden ?).
1) Für unzulässig erklären ein solches Landesgesetz Hänel, Studien I, S. 219 ff.;
Seydela.a. O.; Müllerin Hirths Annalen 1876, S. 850 ff.; v. Sarwey, Würt-
tembergisches Staatsrecht II, S.81. Tatsächlich ist in keinem Staate ein solches Ge-
setz erlassen worden.
2) Einige Schriftsteller verteidigen die Ansicht, daß die Regierung, bevor sie im
Bundesrat zur Beseitigung oder Beschränkung eines Sonderrechts ihre Zustimmung
erklärt, stets die Einwilligung des Landtages einholen müsse, auch wenn kein Landes-
gesetz dies anordne. So HauserS. 38; RiedelS. 164, Ziff. 4; MohlS. 64 fg.;
Meyer 8 164, Note 28; Zorn I, S.134 Vgl. dagegen außer den in der vorigen
Note angeführten Schriftstellern Held S. 155; v. RönnelIl, S. 41ff.
3) Was nicht zu verwechseln ist damit, daß formell ein Vertrag geschlossen
werden müsse.
4) In diesem Resultate ist Hänel.a. a. O. S. 222 im wesentlichen übereinstim-
mend. Zorn.a. a. O. geht so weit, die im Bundesrat abgegebene Zustimmungser-
klärung für nichtig zu erklären, wenn nicht zuvor der Landtag seine Einwilligung
dazu erklärt hat; er steht aber mit dieser Ansicht im Widerspruch mit sämtlichen
anderen Schriftstellern, ausgenommen Lingg, Empir. Unters.S.124 fg. Vgl. unten 8 28.