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eine im Ganzen mildere Form der Blattern darstellen, bei welcher auch die für den Kranken vorhan-
dene Gefahr eine bei weitem geringere ist. Daß aber nichts desto weniger auch dieser Form, welche
hauptsächlich aus einer geringeren Rezeptivität gegen das Pockengife hervorzugehen scheint, die wahre
Blatternnatur nicht mangele, beweist ganz besonders der Umstand, daß sie durch Uebertragung ihres
Ansteckungsstoffc auf ein anderes, für das Pockengist noch empfänglicheres Indivik num eine ganz nor-
male und lebensgefährliche Blarkernkrankheit zu erzeugen vermag.
Nicht zu verwechseln damit sind endlich die sogenonnten falschen Pocken (Varicellen),
welche, wenn sie gleich in einem gewissen entfernteren Zusammenhange mit der Einwirkung des Blat-
terngists auf dafür unempfängliche Indivikuen stehen mögen und auch einer Forkpflanzung durch Au-
steckung fähig sind, sich doch, sowohl in ihrer dußieren Erscheinung, als auch in ihrer Bedeutung von
den ächten Blattern wesemlich unterscheiden. ·
Dies·efalschestPockesi(ienachihkckFormauchWisId-,Stein-,WassersPockvnthsInge-
nannt) brechen unter sehr geringem Fieber an verschiedenen Stellen des Körpers auf einmal hervor
und nach mehreren Tagen kommen meist nachträglich noch einzelne neue zum Vorschein; der Ausschlag
selbst ist entweder mehr blasenartig oder warzig u. s. w., jedenfalls aber anders, als der der ächten
Blattern gestaltet, auch der Verlauf ist ein durchaus anderer, es findet nicht jene allmählig und re-
gelmäßig fortschreitende Entwickelung der Pusteln bis zum Jeitpunkt der Eilerung statt, viele trocknen
gald nach dem Ausbruche schon wieder ein, andere, nachdem sie sich mit einer wäßrigen Flüssigkeic=
oder höchssens mit einem ganz dünnen Eiter gefüllt haben; dat Eiterungsfieber fehlt immer und ke-
benögefahr ist nie vorhanden. 4
§. 43. Der Ursprung der Pocken verliert sich in die Dunkelbeit des Alterthums. Es läße
sich eben so wenig mit voller Gewißheit darthun, in welchen Gegenten und wann sie zuerst en#slanden
fsind, als: welche Ursachen sie ursprünglich erzeugt haben; wahrscheinlich aber sind sie, wie viele andere
bösartige Krankheiten, das Produkt eines heißen Himmelsstrichs, welches, aus einem besonderen Lu-
sammenfluß von Umständen einmal hervorgegangen, sich allmählich weit über seine Ursprungsslä#te
binaus fortgepflanzt hat. In Europa scheinen die Pocken kenjenigen känderu#, welche mit den Arabern
merst in nahe Berührung kamen, wie: Spanien u. s. w. zuerst mitgetheilt worden, zu einer all-
emeineren Verbreitung aber hauptsüchlich erst durch die Kreuzzüge und den dadurch herbeigeführten
ebhafteren Verkehr mit dem Oriente, gelangt zu seyn; die Europcker verpflautten sie wiederum nach
Amerika bald nach dessen Entdeckung, nach dem fünften Welttheile aber erst in der zweiten Hülste des
vorlgen Jahrhunderts u. s. w. So sind die Pocken jetzt ziemlich über die ganze bekannte Erde ver-
breitet und es hängt nur von den §. 11. erwahnten Verhältnissen ab, ob sie in einer oder der anderen
Gegend zu Zeiten eine allgemeine Verbreitung gewinnen (als Pandemie, Epidemie) auftreten, oder
nur sporadisch bestehen sollen.
hre Verbreitung aber erlangen die Pocken überall nur mit Hülfe eines eigenen Ansteckungs-
Koffes, des Blatterngifte, welches, der Erfahrung zufolge, nachstebende Eigenschaften besigt.
1. Ec ist ein stüchtiges Conlagium, welches nicht etwa bloß an einzelnen Stellen des krau-
ken Kör rs, z. B. den Pockenpusteln, zu haften, vlelmehr denselben ganz zu durchdringen, auch an
kelnen einzelnen Zeitraum der Krankheit gebunden zu seyn scheint, namentlich abrr auch noch zur Zeit
der Abtrocknung sehr wirksam ist.
2. Es tbeilt sich besonders dem Dunstkreise des Kranken mir, kann aber auch eben sowohl
an einer Menge anderer Trager, namentlich Effekten, welche mit Pockenkranken in Berührung gekom-
men sind u. s. w. und zwar ziemlich fest und anhaltend haften, auch den Leichen von Blarterkranken
noch adhäriren.
3 Die Empfänglichkeit dafür ist an kein Alter, kein Geschlecht, keine Kärperkonsticurion, keinen
Stand, keine bebensweise gebunden, vielmehr sehr allgemein, ja allgemeiner als für jedes andere Con-
tagium unter den Menschen verbreiteft. Selbst wo sie zu einer gewisstn Lebenssjeit zu fehlen scheine,
kann sie sich später doch noch entwickeln.
4. Durch ein einmaliges Beslehen der Krankheit wird sie in der Regel vernichtet.
· 5. Der Zeitraum von der Aufnahme des Contagiums bis zum Ausbruch der Krankheit
erstreckt sich selten uͤber eine Woche hinaus.
Die ad 3. erwähnte Eigenschaft des Conlagil ist es besonters, welche, Iin Verbindung mie
ber Lebensgefährlichkeit der Krankheit, kie Blattern zu einer der furchtbarsten Seuchen, womit das
Menschengeschlecht he heimgesucht wurde, gemacht hat. Man kann annehmen, daß die Pocken, seit-
dem sie Europa überßielen, daselbst allein mehr Menschen ins Grab gestürzt haben, als alle übrigen
pestartigen Seuchen zusammengenommen, denn nach den glaubwürdigsten Sterbelisten Dhat man berech-
net,