Object: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

180 J. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
die gemeinsame Gefahr, die von der Weltmacht im Westen drohe, und 
gelobten einander feste Treue. Auf den noch knabenhaft unreifen Czaren 
machte die ritterliche ernsthafte Haltung des Königs und die bezaubernde 
Anmuth der Königin lebhaften Eindruck, soweit sein aus Schwärmerei, 
Selbstbetrug und Schlauheit seltsam gemischter Charakter tiefer Empfin— 
dung fähig war; und immer wieder klagte sein polnischer Freund Czar— 
toryski, der unversöhnliche Gegner Preußens: dieser Tag von Memel sei 
der Anfang alles Unheils. Friedrich Wilhelm aber hing an dem neuen 
Freunde mit der unwandelbaren Treue seines ehrlichen Herzens. Persön— 
liche Neigung bestärkte ihn in dem Entschlusse, den sein gerader Verstand 
gefunden hatte: nur im Bunde mit Rußland wollte er einen Krieg gegen 
Frankreich wagen. Er drängte den russischen Hof, an den Verhandlungen 
über die deutschen Entschädigungsfragen theilzunehmen, damit Frankreich 
nicht der alleinige Schiedsrichter im Reiche sei. 
Wie der König also sich insgeheim den Rücken zu decken suchte für 
einen möglichen Krieg gegen Frankreich, so verfolgte auch seine deutsche 
Politik Gedanken, welche den Plänen des ersten Consuls schnurstracks 
zuwiderliefen; es war nur die Folge der verworrenen Parteiungen des 
Augenblicks, daß der preußische Hof eine Zeit lang mit dem französischen 
Cabinette Hand in Hand zu gehen schien. Die allgemeine Secularisation 
konnte dem preußischen Staate nur willkommen sein sobald einmal die 
Abtretung der Rheinlande entschieden war. Alle seine protestantischen 
Ueberlieferungen wiesen ihn auf dies Ziel hin. Zudem herrschte damals 
in der aufgeklärten Welt die Lehre von der Allmacht des Staates, die 
alle Kirchengüter von Rechtswegen der Nation zuwies; Stephani's Buch 
über „die absolute Einheit von Staat und Kirche“ machte die Runde im 
deutschen Norden. Der König von Preußen war selber von diesen An— 
schauungen durchdrungen, ließ eben jetzt in seinem Cabinet einen um— 
fassenden Plan für die Einziehung des gesammten preußischen Kirchenguts 
ausarbeiten. Desgleichen glaubte er ganz im Sinne seines Großoheims 
zu handeln, wenn er sich auf die Seite Baierns und der neuen Mittel— 
staaten stellte; auch Friedrich hatte ja bei seinen Reichsreformplänen die 
Verstärkung der größeren weltlichen Reichsstände immer im Auge gehabt. 
Bonaparte begünstigte die Mittelstaaten, weil er sich aus ihnen den Stamm 
einer französischen Partei bilden wollte; der preußische Hof unterstützte 
diese Politik, weil er umgekehrt hoffte durch die Vernichtung der aller— 
unbrauchbarsten Kleinstaaten die Widerstandskraft des Reiches gegen Frank— 
reich zu erhöhen. Unumwunden erklärte Haugwitz dem österreichischen 
Gesandten Stadion, dies sei schon seit Jahren die feststehende Ansicht 
seines Hofes. Im gleichen Sinne ließ Rußland dem Wiener Hofe aus- 
sprechen, man habe aus den preußischen Staatsschriften die Ueberzeugung 
gewonnen, daß die allgemeine Secularisation zur Kräftigung des deutschen 
Westens nothwendig sei. Und wieder mit den nämlichen Gründen recht-
	        
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