Object: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

408 GERHARD ANSCHCTZ: Verwaltungsrecht. 
schwerde, oder daß die Verwaltung, so wie sie gehandelt hat, im Unrecht ist, nie 
aber sagen, was die Verwaltung im Einzelfalle zu tun oder was der Kläger sich 
gefallen zu lassen hat, während die deutschen Verwaltungsgerichtshöfe in ihrer 
Stellung als Berufungs- und Revisionsinstanzen bei Spruchreife in der Sache 
selbst erkennen, andernfalls aber den Streitfall unter Beifügung bindender 
Direktiven an den Vorderrichter — der doch immer zugleich Organ der reinen 
Verwaltung ist — zur Entscheidung zurückverweisen. Von autoritativer Seite 
(Unger) ist gesagt worden, der österreichische Verwaltungsgerichtshof stehe 
nicht innerhalb, sondern außerhalb der Verwaltung. Er würde vielleicht mehr 
über ıhr stehen, wenn er in ihr stände. 
Das Reichsgericht, dessen Präsident und Vizepräsident vom Kaiser 
frei und dessen übrige Mitglieder (zwölf, sowie vier Ersatzmänner) je zur Hälfte 
auf Vorschlag jedes der beiden Häuser des Reichsrates, mithin unter ausschlag- 
gebendem parlamentarischen Einfluß, ernannt werden, übt, abgesehen von 
seiner sonstigen Zuständigkeit (Entscheidung von Kompetenzkonflikten, von 
Streitsachen zwischen Reich und Ländern oder den Ländern unter sich usw.), 
Verwaltungsgerichtsbarkeit aus, sofern seiner Entscheidung zugewiesen sind ‚,Be- 
schwerden der Staatsbürger wegen Verletzung der ihnen durch die Verfassung ge- 
währleisteten politischen Rechte‘‘. Auf Grund einer nicht unbedenklichen, weit 
ausdehnenden Interpretation des Begriffes ‚politische Rechte‘ hatsich dasReichs- 
gericht eine Jurisdiktion beigelegt, welche in den Wirkungskreis des Verwaltungs- 
gerichtshofes tiefer eingreift, als dies wohl von dem Gesetzgeber beabsichtigt war. 
b) Ungarn. Viel später als in Österreich ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit 
in der transleithanischen Hälfte des Habsburgerreiches eingeführt worden: un- 
garischer Gesetz-Artikel XXVI: 1896. 
Auch dieses Gesetz kennt, wie das österreichische vom 22. Oktober 1875, 
nur eine Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit: den — ausschließlich mit 
Berufsbeamten in richterlicher Unabhängigkeit besetzten — Verwaltungsgerichts- 
hof. Doch scheint die Errichtung von Unterinstanzen, ungefähr nach deutschem, 
insbesondere preußischem Vorbilde, für die Zukunft geplant zu sein. 
Der ungarische Verwaltungsgerichtshof erkennt wie der österreichische 
über alle Klagen, in denen der Kläger durch eine administrative Anordnung 
oder Entscheidung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Er ist außer- 
dem zuständig zur Entscheidung über Klagen, welche von gewissen, im Gesetze 
bezeichneten Behörden und Beamten zur Wahrung ihrer Zuständigkeit oder 
sonst im Interesse des Gesetzes gegen Beschlüsse kollegialer Verwaltungsorgane 
(Munizipal- und Verwaltungsausschüsse, Steuerkommissionen) erhoben werden. 
Abweichend von dem österreichischen ist der ungarische Verwaltungsgerichtshof 
nicht bloß kassatorisch tätig, sondern befugt, in der Sache selbst, nach Befinden 
sogar unter selbständiger neuer Feststellung des Sachverhaltes, zu entscheiden. 
2. Frankreich. 2. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich. Der Sinn 
Allgemeine An- .. 
schauungen über für eine starke und freie Verwaltung ist dem politischen Denken der Franzosen 
Justiz und Ver- yon jeher in hohem Maße eigen gewesen. Beides, die Stärke wie die Freiheit 
der Verwaltung wird angestrebt und erreicht einmal durch eine organisatorische
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.